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Sein und Zeit

Das Ausstehen, das zum Sein des Daseins gehört und mit dem Tode fortfällt, ist nicht das Ausstehen eines noch nicht Zuhandenen, das zu bereits Verfügbarem seiner Art hinzukommen wird (wie eine ausstehende Schuld). Es ist nicht die Unreife der Frucht, die sich im Reifen vollendet, und nicht wie die Unabgeschlossenheit des Weges, der erst ganz ist, wenn er am Ziel endet. Das Enden, das im Sterben liegt, ist auch kein Verschwinden (wie das Aufhören des Regens). Es ist von nirgends anders her zu begreifen als vom Sein des Daseins selbst, d.h. von der Sorge. Das Sterben ist weder dem Verenden eines nur Lebendigen gleichzusetzen, noch dem Ableben als Übergang vom Leben zum Totsein, sondern es ist die Seinsweise, in der das Dasein zum Tode ist[1].

„Die existentiale Interpretation des Todes liegt vor aller Biologie und Ontologie des Lebens. Sie fundiert aber auch erst alle biografisch-historischen und ethnologisch-psychologischen Untersuchungen des Todes ... Die ontologische Analyse des Seins zum Ende greift andererseits keiner existentiellen Stellungnahme zum Tode vor. Wenn der Tod als Ende des Daseins, d.h. des In-der-Welt-seins bestimmt wird, dann fällt damit keine ontische Entscheidung darüber, ob nach dem Tode noch ein anderes, höheres oder niedrigeres Sein möglich ist, ob das Dasein fortlebt oder gar, sich überdauernd, unsterblich ist. Über das Jenseits und seine Möglichkeit wird ebensowenig ontisch entschieden wie über das Diesseits ... Die Analyse des Todes bleibt aber insofern rein diesseitig als sie das Phänomen lediglich daraufhin interpretiert, wie es als Seinsmöglichkeit des jeweiligen Daseins in dieses hereinsteht. Mit Sinn und Recht kann überhaupt erst dann methodisch sicher auch nur gefragt werden, was nach dem Tode sei, wenn dieser in seinem vollen ontologischen Wesen begriffen ist“[2].

Das Sein zum Tode ist in der Sorge als Sich-selbst-vorweg-sein vorgezeichnet. Es gehört zum Dasein so ursprünglich wie das Ins-Dasein-geworfen-sein und prägt sich am deutlichsten aus in der Angst; aber es ist meist verdeckt, weil das Dasein auf der Flucht davor, in der Weise des Verfallens bei Vorhandenem ist. Was bevorsteht, ist das Nicht-dasein-können, das von allen Bezügen losgelöste eigenste Seinkönnen; aber es steht nicht bevor als ein von außen


  1. a.a.O. S. 247.
  2. a.a.O. S. 247 f.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/79&oldid=- (Version vom 31.7.2018)