Seite:Edith Stein - Welt und Person.pdf/85

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Sein und Zeit

geistig ist, und nur deshalb, in einer Weise räumlich sein, die einem ausgedehnten Körperding wesenhaft möglich bleibt“[1]). Es ist ausgerichtet in den Raum und Gegend-entdeckend, woher und wohin es etwas gewärtigt und wo ihm etwas gegenwärtig wird. Seine Zeitlichkeit macht ihm das Raumeinnehmen möglich. In der nähernden Gegenwärtigung, die das Verfallen bevorzugt, wird das Dort vergessen, und es erscheint zunächst nur ein Ding im Raum.

Das Dasein in der Alltäglichkeit hat seine eigentümliche Zeitlichkeit. Es ist das Dasein, wie es „zumeist und zunächst“ ist; es verläuft „wie gestern, so heute und morgen“; außerdem schließt es ein beständiges Rechnen mit der Zeit ein. Alltäglichkeit bedeutet also Zeitlichkeit; weil „diese aber das Sein des Daseins ermöglicht, kann die zureichende begriffliche Umgrenzung der Alltäglichkeit erst im Rahmen der grundsätzlichen Erörterung des Sinnes von Sein überhaupt und seiner möglichen Abwandlungen gelingen“[2].

Weil Seinsverständnis nötig ist, um den Sinn des Seins zu erschließen, und weil Seinsverständnis etwas zur Seinsverfassung des Daseins Gehöriges ist, wurde die Analyse des Daseins zur Vorbereitung der Erforschung des Seinssinnes angestellt. Sie hat bisher das Sein des Daseins als Sorge und damit als Sein zum Tode bestimmt. Für die Ganzheit ist aber außerdem die Geburt und der Zusammenhang zwischen Geburt und Tod hereinzuziehen. Dieser Zusammenhang ist nicht als ein Nacheinander von jeweils allein-wirklichen Jetzt-Momenten in der Zeit zu fassen. Die Zeitlichkeit des Daseins mit den stets gleichwirklichen drei Ekstasen zeigt, daß es primär sich nicht in die Zeit einordnet: sein Sein ist Sich-Erstrecken, zu dem Geburt und Tod immer mitgehören und das Geschehen ist. Dies Geschehen, das aus der Zeitlichkeit des Daseins folgt, ist Vorbedingung der Historie (d.i. Wissenschaft von der Geschichte). Geschichtlichkeit und In-der-Zeit-sein folgen beide aus der ursprünglichen Zeitlichkeit; darum ist sekundär auch die Geschichte in der Zeit.

Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch hat geschichtlich einen vierfachen Sinn; es bedeutet:

1. was vergangen ist (und zwar entweder, was jetzt nicht mehr wirksam oder was noch wirksam ist);
2. das, wovon etwas herkommt;
  1. a.a.O. S. 368.
  2. a.a.O. S. 372.
  3. Empfohlene Zitierweise:
    Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/85&oldid=- (Version vom 31.7.2018)