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Martin Heideggers Existentialphilosphie

hat ständig ihre Zeit für das, was die Situation von ihr verlangt“[1]. Weil das Dasein mit anderen existiert, die sein Jetzt, Dann usw. verstehen, wenn auch anders datieren, wird die Zeit nicht als eigene, sondern als öffentliche verstanden.

In der Grundverfassung des Daseins als Sorge ist Zeitrechnung notwendig begründet. „Die Geworfenheit des Daseins ist der Grund dafür, daß es öffentlich Zeit gibt“[2], die Zeit, in der es Vorhandenes und Zuhandenes — Innerzeitiges — gibt. Weil zur Sicht der Welt, in die das Dasein geworfen ist, Helligkeit gehört, datiert es nach Tag und Nacht („es ist Zeit zu...“), berechnet die Zeit nach Tagen und mißt sie am Sonnenstand. Die im Besorgen ausgelegte Zeit ist immer „Zeit zu...“, sie gehört zur Weltlichkeit der Welt und heißt darum Welt-Zeit. Sie ist datierbar, gespannt und öffentlich. Zeit ablesen ist immer ein Jetztsagen als Ausdruck eines Gegenwärtigen.

In der Zeitmessung vollzieht sich eine Veröffentlichung der Zeit, wonach sie jeweils und jederzeit für jedermann als „jetzt und jetzt“ begegnet. Sie wird an räumlichen Maßverhältnissen datiert, wird aber dadurch nicht zum Raum. Erst durch die Zeitmessung kommen wir zu der Zeit und jedes Ding zu seiner Zeit. Sie ist weder subjektiv noch objektiv, weil sie Welt und Sein des Selbst möglich macht. Zeitlich ist nur das Dasein, das Zuhandene und Vorhandene dagegen ist innerzeitig.

Das Gesagte dient als Grundlage, um die Entstehung des vulgären Zeitbegriffs aufzuweisen: mit der Erschlossenheit der Welt ist Zeit veröffentlicht und besorgt. Indem das Dasein mit sich rechnet, rechnet es mit Zeit. Man richtet sich nach der Zeit durch den Uhrgebrauch, im Zählen der Zeigerstellen. Darin liegt ein gegenwärtiges Behalten des Damals und Gegenwärtigen des Später. Die sich darin zeigende Zeit „ist das im gewärtigenden, zählenden Verfolg des wandernden Zeigers sich zeigende Gezählte...“[3] Das entspricht der aristotelischen Definition der Zeit als Zahl der Bewegung: sie hält sich innerhalb des natürlichen Seinsverständnisses, ohne es zum Problem zu machen. Je mehr das Besorgen sich an das besorgte Zeug verliert, desto natürlicher rechnet es mit der Zeit, ohne sie selbst zu beachten, und nimmt sie „als eine Folge von ständig vorhandenen, zugleich vergehenden und ankommenden Jetzt“, „als ein


  1. Sein und Zeit, S. 410.
  2. a.a.O. S. 411.
  3. a.a.O. S. 421.
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Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/88&oldid=- (Version vom 31.7.2018)