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und mit den sakramentlichen Gaben erquickt, mit ihnen auch etliche Diakonissen, die aus Bayern in die Lazarette gesandt waren. Ach, gewiß war die Macht der Gewohnheit auch hier zu spüren. Aber ob nicht Gewohnheit oder besser Gewöhnung, so wenig sie das Höchste ist, noch bedeutsamer und wertvoller ist als die nicht erkämpfte, sondern willkürlich angenommene Freiheit, der die Sitte nichts mehr bedeutet? Aus der großen und edlen Begierde nach Echtem heraus unterschätzt man jetzt in der Kirche die erziehlichen Momente des Herkommens und verwirft Ordnungen ohne anderes dafür zu bieten, läßt das Bessere den Feind des Guten werden. Es ist sehr richtig zu sagen, daß man lieber das Gebet unterlassen als gewohnheitsmäßig pflegen solle und doch vergißt man dabei, daß im Beten das Gebet gelernt wird. In dem Kriege würden viele Worte ganz verschüttet sein, wenn nicht die Gewohnheit zunächst ihren Gebrauch, dann ihren Gehalt näherbrächte. –

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 Unsere Feldgeistlichen haben gewiß in großer Zahl ihr Bestes geboten, ob es bei der öfter sich zeigenden Betonung des Subjektiven und dem Bestreben, modern zu predigen immer das Beste war, steht dahin. Sie haben die mannigfachen eigenartigen Gefahren, die durch den ausschließlichen Verkehr mit Gesellschaftskreisen, mit denen ihre heimatliche Arbeit sie nur zu selten in Berührung bringt, wohl beachtet, den Verpflichtungen, die Höflichkeit und Sitte mit sich bringen, Genüge getan, ohne sich zu binden und daran festzuhalten. Daß sie nicht für den und jenen Kreis, sondern für die ganze Gemeinde berufen sind, durch gute Gerüchte, die ihr Tun bis in den Himmel erhoben und aus selbstverständlicher Arbeit ein Heldentum und eine Großtat hervorkommen sahen, wie durch böse Gerüchte, die sie im Schützengraben vermissen, zu viel in höheren, zu wenig in den einfachen Kreisen finden, die den öden Vergleich zwischen katholischem Eifer und evangelischer Lauheit und

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Hermann von Bezzel: Erinnerungen aus Berufsreisen an die Front. Krüger & Co., Leipzig 1917, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erinnerungen_aus_Berufsreisen_an_die_Front_35.png&oldid=- (Version vom 19.7.2016)