Seite:Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus 048.jpg

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38 Erstes Buch.


Als ihr später von ihrem Vater die Freiheit geschenkt wurde, sich einen Gatten zu wählen, musterte sie die zum Mahle versammelten jungen Männer durch sorgfältiges Betasten [31] 31und suchte nach dem vor Zeiten geborgenen Zeichen. Alle verschmähte sie, aber den Hading wählte sie, als sie ihn an dem Merkmale des versteckten Ringes erkannte und gab sich dem zur Gemahlin, der sie vor der Vermählung mit einem Riesen bewahrt hatte.

Während Hading bei ihr verweilte, ereignete sich ein wunderbarer, seltsamer Vorgang: als er bei Tische sass, sah man, wie eine Frau, die Schierling trug, neben dem Herdfeuer ihr Haupt aus dem Boden erhob und mit ausgebreitetem Kleidschosse fragte, wo in der Welt so frisches Gras zur Winterzeit ersprossen sei. Der König sprach den Wunsch aus, das zu erkunden; da umhüllte sie ihn mit ihrem Mantel und nahm zurückgleitend ihn mit sich unter die Erde; ich denke, weil die unterirdischen Götter es so bestimmten, dass er lebend an den Ort geführt werde, zu dem er im Tode fahren sollte. Zuerst durchschritten sie ein mit Dampf erfülltes Halbdunkel, und einherschreitend auf einem durch lange Benutzung abgetretenen Steige erblickten sie eine Anzahl vornehme Männer in prächtigen purpurnen Gewändern; als sie an denen vorbei waren, betraten sie endlich die sonnigen Gefilde, welche die von der Frau gebrachten Gräser hervorbrachten. Auf ihrem weiteren Wege trafen sie auf einen Fluss mit jähem Falle und bleigrauem Wasser, der Waffen verschiedener Art in seiner reissenden Strömung dahinwälzte, und den man auf einer Brücke überschreiten konnte. Als sie über diese Brücke gegangen waren, sahen sie zwei Schlachtreihen mit einander kämpfen; als Hading die Frau fragte, was das solle, antwortete sie: „Das sind die, welche im Kampfe gefallen sind und nun beständig im Bilde ihre Todesart bekunden und mit dem jetzigen Schauspiele das Thun des vergangenen Lebens nachahmen.“ Als sie weiter schritten, fanden sie ihren Weg gesperrt mit einer Mauer, schwer zu besteigen; die Frau versuchte darüber zu springen, jedoch vergebens, auch ihr kleiner, eingetrockneter Leib schaffte

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Saxo Grammaticus: Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus. Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann, 1901, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erl%C3%A4uterungen_zu_den_ersten_neun_B%C3%BCchern_der_D%C3%A4nischen_Geschichte_des_Saxo_Grammaticus_048.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)