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derselben Weise widerspiegelt. Der Norden zeigt in der Politik grössere skeptische Ruhe, daher mehr Opposition und mehr Liberalismus, und sehr schwer wirkliche Begeisterung, der Süden lebhaftere Empfindung und Beschaulichkeit, daher schnellere leidenschaftlichere Begeisterung und mehr Conservativismus. In der Wissenschaft wird der Norden mehr die schweren, gelehrten, materialreichen und Material verarbeitenden Arbeiten liefern, der Süden mehr die eine Idee mit Lebhaftigkeit und Wärme durchführenden. Als Beispiel für jene Klasse kann Mommsen’s römische Geschichte dienen, als Beispiel für diese Strauss’ Leben Jesu. Einzelne glänzende Ausnahmen, wie Zeller’s Geschichte der griechischen Philosophie und Teuffel’s römische Literaturgeschichte werden an dieser Norm nichts ändern können. Die erste Richtung kann sich leichter von offenbaren Irrthümern freihalten, die zweite schwerer. Beide werden naturgemäss sich nicht selten befehden und im allgemeinen sich nicht mit grosser Hochschätzung behandeln, wofür zahlreiche Beispiele vorliegen.

Aus der schöngeistigen Literatur unsrer Zeit wird es genügen, nur ein Beispiel anzuführen, an welchem sich diese Verschiedenheit des Temperaments und seine Einwirkung auf Geschmack und Urtheil am deutlichsten nachweisen lässt. Wenn wir die deutsche Romanliteratur der letzten Jahre verfolgen, so lassen sich zwei Richtungen leicht unterscheiden: der sociale oder socialpolitische Roman,

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Hans Flach: Der deutsche Professor der Gegenwart. Leipzig 1886, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Flach_Der_deutsche_Professor.djvu/074&oldid=- (Version vom 17.8.2016)