Seite:Foerster Klassische Philologie der Gegenwart 15.jpg

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wechselten Klagen der Vertreter der Altertumsstudien über deren Vernachlässigung und Verfall, am lautesten vielleicht von keinem geringeren als dem praeceptor Germaniae, Philipp Melanchthon selbst erhoben. Und siegreich haben diese Studien sich behauptet, sich über den gebildeten Erdkreis verbreitet und sind immer von neuem zur Blüte gelangt. Auch weiss ich recht wol: mit gewissen Gegnern ist nicht zu rechten, nämlich mit denen, welche die klassische Philologie überhaupt nicht kennen und mit denen, welche Unmögliches von ihr verlangen und sie für allen Schaden der modernen Bildung verantwortlich machen. Aber noch nie haben die Klagen ein solches Gewicht erlangt durch die Stimme derer, welche sie erheben. Böckh selbst hat ihnen sowol in Bezug auf den Schulunterricht als auf den wissenschaftlichen Betrieb der Philologie nicht ganz Unrecht geben können.[1] Ein warmer Freund der klassischen Philologie, selbst ein anerkannter Meister in seinem Gebiet der Philologie und ein Mann von wunderbarer Vielseitigkeit[2], hat vor zehn Jahren den Ausspruch getan, dass die Philologie ihre Heimat bald nur noch in den Hörsälen der Archäologen haben werde. Ein angesehener junger Philosoph hat im vorigen Jahre eine Geschichte des gelehrten Unterrichts in Deutschland ausgehen lassen, deren Schlussbetrachtung darin gipfelt, dass er den Tag nicht mehr ferne sieht, wo der Unterricht in den klassischen Sprachen vom Gymnasium ziemlich verschwinden, wo Deutsch und Philosophie an deren Stelle treten werden. Zuletzt aber und zumeist von mehr als Einem erprobten Schulmanne kann man die Ansicht hören, dass das junge Philologengeschlecht wenigstens teilweis etwas und zwar das beste, Idealismus und wahre Vertrautheit mit den alten Schriftstellern, vermissen lasse.

Soll, ja kann der Professor der klassischen Altertumswissenschaft solchen Stimmen gegenüber gleichgültig bleiben und im Vertrauen auf die Fürsorge der Unterrichts-Behörden


  1. Encyclopädie und Methodol. der philol. Wissenschaften S. 306.
  2. Preuss. Jahrbücher 38, 599.
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Richard Foerster: Die Klassische Philologie der Gegenwart. Universitäts-Buchhandlung, Kiel 1886, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Foerster_Klassische_Philologie_der_Gegenwart_15.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)