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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Kneißl fehlte schließlich der Mut, sich weiter um Arbeit zu bemühen. Er verband sich mit einem übelberüchtigten Menschen, namens Hausleitner. Beide bewaffneten sich mit Revolvern, Gewehren und Dolchen und verübten gemeinsam die verwegensten Einbrüche. In einer dunklen Nacht brachen sie in einen einsam belegenen Bauernhof ein. Als die Bewohner erwachten, wurden sie von den frechen Räubern durch Bedrohung mit sofortigem Erschießen verhindert, sich zur Wehr zu setzen oder auch nur um Hilfe zu schreien. Am folgenden Tage saß Kneißl ganz wohlgemut im Wirtshause des Nachbardorfes. Eine Anzahl Dorfbewohner erkannte ihn und wollte zu seiner Verhaftung schreiten. Kneißl wußte jedoch durch Bedrohung mit seinem Gewehr die Leute von sich abzuhalten und unbehelligt die Dorfstraße zu erreichen. Einige beherzte Bauernburschen verfolgten ihn. Am Ausgange des Dorfes waren ihm seine Verfolger dicht auf den Fersen. Als Kneißl die Gefahr erkannte, drehte er sich um, feuerte mehrere Schüsse ab und traf den Gürtlerssohn Seitz so unglücklich, daß dieser schwerverletzt niederfiel. Infolgedessen ließen die anderen jungen Leute von der weiteren Verfolgung des gefürchteten Räubers ab. Hausleitner fiel sehr bald der Polizei in die Hände und wurde im Februar 1901 vom Schwurgericht zu Straubing zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Kneißl setzte darauf allein, bekleidet mit grauer Lederjoppe und Gamaschen, grauem Hut mit Spielhahnfeder, mit geladenem Revolver, einem „Drilling“ und Patronen ausgerüstet, auf einem Zweirad seine Raubzüge fort. Eine förmliche Kneißllegende umwob den kühnen Räuber. Überall tauchte die gefürchtete Räubergestalt auf. Sobald der Abend zu dämmern begann, wurden in ganz Oberbayern die Bauernhöfe fest verrammelt und verriegelt und große bissige Hunde, die des Tages über an der Kette gelegen, von ihren Fesseln befreit. Niemand wagte sich allein auf die Landstraße oder gar in den Wald. Starke Gendarmerieposten durchzogen, bis an die Zähne bewaffnet, das „Kneißlgebiet“,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/208&oldid=- (Version vom 1.8.2018)