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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Einzelheiten nicht passiert sein können, da sie in der geschilderten Form einfach unmöglich sind. Der Gerichtshof wird diese Einzelheiten nicht glauben, weil sie nicht wahr sein können. Das Gericht kann und wird auch nicht glauben, daß Sternberg dem Kinde 10 Pf. gegeben habe. Wenn aber die Gewalt fällt und die Einzelheiten fallen, dann bleibt nichts Verwertbares übrig. Wenn der Gerichtshof sich die Frage vorlegt, ob und was geschehen ist, dann kann er nur zu dem Schluß kommen: Ignoramus. Wie solche Mädchen lügen können, ist ja bekannt, das hat sich auch bei der Ehlert erwiesen. Frida Woyda ist aber im Lügen eine wahre Virtuosin. Das ist das Kind, auf dessen Aussage man einen Angeklagten jahrelang der Freiheit berauben will. Will der Gerichtshof wirklich sagen: Es muß so sein, wie Frida Woyda es in der ersten Verhandlung gesagt hat und es kann nicht so sein, wie sie es diesmal sagt? Das würde den alten Rechtsgrundsatz: „Im Zweifelsfalle für den Angeklagten“ in sein Gegenteil verwandeln. Der Weisheit letzter Schluß kann auch bezüglich der Frida Woyda tatsächlich nur dahin gehen: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“ Ich will gern zugeben, daß Stierstädter nicht in böser Absicht auf Frida Woyda eingewirkt hat. Aber es läßt sich doch nicht leugnen, daß er sich bei seinen Ermittelungen nicht immer in den Grenzen gehalten hat, die ihm sein schweres Amt zieht. Jedenfalls hat Stierstädter unbewußt einen kolossalen Einfluß auf das Mädchen ausgeübt. Das Sachverständigen-Gutachten gewährt einen tiefen Blick in das Seelenleben dieses Kindes und läßt keinen Zweifel, daß man der Frida Woyda überhaupt nichts glauben kann.

Daß die Staatsanwaltschaft nicht mit „ehrlichen“ Waffen kämpfe, wird wohl niemand behauptet haben, aber daß die Waffen der Staatsanwaltschaft und die der Verteidigung nicht gleiche sind, diese Behauptung möchte ich doch aufrecht erhalten. Der Staatsanwaltschaft stehen Akten zu Gebote, die der Verteidigung vorenthalten bleiben, sie erfährt

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/314&oldid=- (Version vom 1.8.2018)