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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

daß er doch ein ganz anderer war, als wie ich ihn zuerst kennen gelernt hatte. Er war unfreundlich und grob zu mir, ich kann wohl sagen, daß ich Furcht vor ihm hatte. Das konnte ich nicht vertragen, ich wurde unglücklich. Auf den Spaziergängen mit Preßler sah ich häufig Merker. Auch hatte ich gehört, daß Merker gesagt hat, er könne mich nicht vergessen, und daß er bei der Nachricht von meiner Verlobung sich wie rasend benommen hätte. An einem Tage, an dem ich Preßler besonders schlecht behandelt hatte, faßte ich den Entschluß, mit Merker zusammenzutreffen. Ich mußte von Preßler los, sonst sah ich ein Unglück voraus. Zitternd betrat ich das Zimmer Merkers und warf mich dem Geliebten in die Arme. „Ich wußte ja, Gretel, daß du wiederkommen würdest, denn du fühlst dich unglücklich,“ sagte Merker. „Ja,“ sagte ich, „ich fühle mich sehr unglücklich.“ „Dann löse doch die Verlobung,“ sagte Merker. Er tröstete mich, doch bei diesem Zusammensein ist zwischen uns beiden nichts passiert. Von diesem Moment ab war ich aber eine ganz andere geworden. Ich hatte Mut und Energie bekommen, vor allem war ich auf Preßler mehr wie ärgerlich. Ich behandelte ihn absichtlich niederträchtig, denn er sollte mich satt bekommen. Es gab schließlich einen lebhaften Auftritt mit Preßler, der zum vollständigen Bruche führte. Da sah meine Mutter ein, daß der Rücktritt von der Verlobung die beste Lösung des Verhältnisses sein würde, und wir fuhren am nächsten Morgen nach Hause. Ich atmete auf, wie von einer schweren Last befreit. Nun schien die Sonne auch wieder für mich. Kaum waren wir zu Hause angekommen, da traf auch schon ein eingeschriebener Brief von der Mutter Preßlers ein, in dem sie mich dringend bat, den zurückgegebenen Verlobungsring wiederzunehmen. Sie schrieb: „Seien Sie sicher, mein liebes Kind, Karl wird Sie glücklich machen.“ Meine Mutter redete mir zu und ich gab nach. – Vors.: Aber Ihr Verhältnis mit Merker ging weiter? – Angekl.: Ja, ich betrachtete mich

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/301&oldid=- (Version vom 1.8.2018)