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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

Verhandlung wurden Briefe verlesen, die Grete Beier an Preßler und Merker und diese an Grete Beier gerichtet hatten. In einem Briefe vom Anfang Dezember 1906 schrieb Grete Beier an Merker: „Weißt Du, Schatz, der Gedanke, meinem Vater – meine Mutter kommt nicht in Betracht, denn sie steht meinem Herzen ziemlich fern – einen Kummer zu bereiten, kann mich förmlich wahnsinnig machen, wenn er erfahren würde, was sein einziges Kind für ein verworfenes Geschöpf ist. Er wird denken: wäre sie doch lieber gestorben, denn dann könnte ich sie doch wenigstens noch achten. Auch Du, Hans, kannst mich nicht mehr achten. Ich habe es selbst schon gefühlt, daß ich ein leichtsinniges, gewissenloses und gewöhnliches Mädchen bin, nicht besser als die erste beste. Aber eine Entschuldigung gibt es für mich: was ich tat, geschah aus Liebe zu Dir. Ich bin sehr verzweifelt, da meine eigene Mutter mir drohte, mich auf die Straße zu setzen.“ – In einem zwölf Seiten langen Briefe vom 5. Dezember 1906 an Grete Beier löste Preßler die Verlobung. Er zeichnete darin in kurzen Umrissen sein Ideal einer Frau und eines Familienlebens, das Grete Beier in keiner Weise erreiche. Er rechne es ihrer Jugend und ihrer geringen Weltkenntnis zugute, wenn sie kein Verständnis für das besitze, was sie ihm angetan habe. Am Schlusse des Briefes brach er in die verzweifelten Worte aus: „Hätte ich Dich nicht geliebt, so hätte ich nicht den Glauben an die Menschheit verloren!“ – Vors.: Der Brief gewährt einen interessanten Blick in die Seele Preßlers. Er gab Sie vollständig frei, in vollständiger Harmonie sollten Sie auseinandergehen. – Angekl.: Ich war auch sehr damit einverstanden. – Vors.: Preßler malt in dem Briefe aus, wie er sich ein Familienleben vorstellt. Ich muß sagen, eine idealere Auffassung kann man vom Familienleben nicht haben, und Sie sagten, er sei barsch und schroff gewesen. – Angekl.: Preßler gab sich in seinen Briefen immer rührend, in Wirklichkeit war er schroff. Ich muß sagen,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/309&oldid=- (Version vom 1.8.2018)