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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6
Ein Kunstprozeß vor dem Breslauer Schöffengericht. Böcklin–Muther

dem Untersuchungsgefängnis auf die Anklagebank der dritten Strafkammer des Landgerichts Berlin II geführt. Der erst 26jährige junge Mann war bereits, wie Sachverständige bekundeten, ein Künstler, er glich aber nicht im entferntesten seinem weltberühmten Vater. Im Januar 1910 war er nach Berlin gekommen. Hier ist er schließlich derartig in Not geraten, daß er tagelang, im buchstäblichen Sinne des Wortes, Hunger litt und obdachlos war. Er mußte im Asyl für Obdachlose oder auf einer Bank des Berliner Tiergartens nächtigen. In dieser großen Not verkaufte er eigene Bilder und Zeichnungen unter der Versicherung, daß sie von seinem verstorbenen Vater herrühren, an Kunsthändler. Der junge Künstler veranschaulichte, als er vor seinen Richtern stand, ein Bild des Jammers und des Elends. Es war für jeden Menschenfreund tief betrübend, als der junge Mann mit tränenerstickter Stimme erzählte, wie er in der Hauptstadt des Deutschen Reiches fast verhungert wäre und froh war, daß er des Abends in den „gastlichen“ Räumen des Asyls für Obdachlose Aufnahme fand und ein Stückchen Brot zu essen bekam. Erbittert und enttäuscht durch Mißerfolge mit eigenen Werken, sei ihm der Gedanke gekommen, die Unwissenheit der Kunsthändler, die die Künstler „aussaugen“, an den Pranger zu stellen und zu zeigen, daß diese nur den Namen bezahlen und die Güte der Bilder gar nicht berücksichtigen. Er habe zeigen wollen, daß er jedem Kunsthändler ohne Mühe Bilder, die jeder Sachverständige sofort als Fälschungen hätte erkennen müssen, anschmieren und sich teuer bezahlen lassen könne. Als er in München bei einem Bilderhändler ein von ihm an einen Frankfurter Kunsthändler verkauftes Bild entdeckte, habe er den Kunsthändler gebeten, das Bild zurückzuziehen, und habe ihm auch gesagt, daß die nach Frankfurt verkauften Bilder Fälschungen seien. Die Kunsthändler seien in ihrem Vermögen überhaupt nicht geschädigt worden, da seine eigenen Bilder den Kaufpreis wert seien. Er habe

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/75&oldid=- (Version vom 1.8.2018)