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Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309

umleget, wovon die untersten Füsse ausgedehnt und gespannt werden, und sowol die Empfindlichkeit als Beweglichkeit verliehren. Auf dieser Erfahrung beruhet das gewöhnlichste Unglück, was die Säufer, in Absicht ihrer Gesundheit, zu befürchten haben.

Es ist unwidersprechlich, daß durch dieses heftige Drängen der umlaufenden Säfte die kleinen Gefässe sehr stark ausgedehnt werden müssen. Je größer der Grad der Trunkenheit ist, desto mehr werden diese Gefässe über ihre Macht ausgedehnt; und ob sie gleich nach geendigtem Rausche sich wieder zusammen ziehen, so leidet doch durch die allzu oft wiederholte Ausdehnung diese ihre Lebenskraft nach und nach immer mehr Abgang, so wie ein elastischer Körper durch allzu heftige Spannungen seine Kraft, sich wieder zusammen zu ziehen, verliehret. Sobald dieses den kleinen Gefässen wiederfähret, so werden sie außer Stand gesetzt, die in sie hineinströmenden Säfte weiter fortzutreiben; denn ihre zusammenziehende Kraft ist es allein, die dieses bewerkstelligen kann. Solchergestalt fangen die Säfte an, in den kleinsten Gefässen erst langsamer umzulaufen, und nachher zu stocken. Wird nun, durch die Fortsetzung der Ausschweifungen im Trinken, dem Blute dennoch beständig ein stärkerer Trieb gegeben; so werden von dieser Gewalt die kleinsten Gefässe, welche schon ohnmächtig sind, immer mehr ausgedehnt, ohne, daß sie vermögend seyn sollten, sich wieder zusammen zu ziehen. Die Säfte häufen sich also in denselben an, und dehnen sie aus, wie gepichte Schläuche, die voll Wasser gegossen werden. Geschiehet dieses in den Füssen, so entsteht daraus eine wässerigte Geschwulst, welche man den ersten Grad der Wassersucht nennet. Geschiehet es im Gehirn, so erfolgen Lähmungen, Schlafsucht, cataleptische Zufälle, Albernheit und Unsinn. Wenn endlich die Ausschweifungen nie aufhören, so werden die kleinen Gefässe endlich so weit ausgedehnet, daß sie gar zerreißen, und die Säfte sich in alle Zwischenräume außer ihren Gefässen ergiessen, die sie offen finden. Hieraus entsteht, wenn dieses in den Gliedern erfolgt, die zwote und unheilbare Art der Wassersucht; und wenn es im Gehirne geschiehet, der völlige ganze oder halbe Schlagfluß. Es erfolget bey einem Säufer bald dieses, bald jenes; es erfolget bey einem bald früher, bald später, nachdem sein Temperament, seine Leibesbeschaffenheit, seine übrige Lebensart, und das ganze System seiner Ausschweifungen verschieden ist: aber so viel ist gewiß, daß Alle solches Elend zu fürchten haben. Ich habe auch hier die Erfahrung auf meiner Seite. Wie viele Säufer verfallen nicht in ihren besten Jahren in solche Arten von Krankheiten, als ich hier beschrieben habe? Wie viele gehen nicht mit geschwollenen Füssen umher? Wie viele werden nicht mitten in der Trunkenheit an ihren Gliedern, oder an der Zunge gelähmt? Es giebt eine eigene Krankheit, die man die Sprachlosigkeit der Säufer nennet. Wie viele verfallen nicht in eine Schlafsucht, aus der sie entweder nie, oder doch gleichsam mit Hinterlassung ihrer Seele wieder erwachen, indem sie beym Erwachen ganz ohne Verstand liegen, und wenn sie sich gleich wieder erholen, doch eine solche Zerrüttung des Gehirns übrig behalten, daß sie als alberne Leute der Kinder Spott und die Verachtung des Pöbels sind. Wie viele Säufer haben nicht schon auf ihren Todtenbetten mit großer Betrübniß die Auflösung der Aufgabe gesucht, wie sie zur Wassersucht, wie sie zu so vielem Wasser gekommen sind, da sie doch in ihrem Leben nichts als Wein getrunken haben. Allein es ist ihr verdienter Lohn, an einer Krankheit zu sterben, worinn sie der Durst quälet, und worinn sie, nach der Regel des Horaz, der doch selbst nicht gern dürstete, ihren Durst nicht einmal stillen dürfen.[1]


Crescit indulgens sibi dirus hydrops:
Nec sitim pellit, nisi caussa morbi
Fugerit venis, & aquosus albo
Corpore languor.

Es ist gewiß, daß die Wassersucht unendlich oft von hitzigen Getränken, und daß sie dagegen nur sehr selten von vielem Wassertrinken entsteht.

  1. Wuchernd wächst die Wassersucht und der Durst steigt,
    Gibst du nach und tilgst nicht der Krankheit Keime
    Aus den Adern gänzlich, des fahlen Leibes
    Wäßrige Schlaffheit
         Hor. Od. II, 2, v. 13–16 nach Philipp von Zesen: Sämtliche Werke. Band XIV. S. 655 Google
Empfohlene Zitierweise:
Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309. Grund, Hamburg 1758, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gedanken_vom_Saufen,_und_dessen_Sch%C3%A4dlichkeit.pdf/7&oldid=- (Version vom 31.7.2018)