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Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache

Schwulst müssen sich aus einer Kunstregel erklären. Für den Schwulst braucht das gar keine weitere Erörterung mehr; es ist der alte Fehler des Asianismus, den wir auch in der gleichzeitigen griechischen Literatur gesteigert wiederfinden. Wer aber auch den Archaismus als eine Stiltendenz bezeichnet, der kann sich ganz einfach auf das berufen, was die antike Überlieferung von dem Kaiser zu berichten weiß, in dessen Zeiten wir die archaisierende Art beginnen sahen, von Hadrian. Sein alter Biograph erzählt: „er liebte die archaische Stilart; dem Cicero zog er den Cato, dem Vergil den Ennius vor.“ Nur soll man nicht etwa glauben, daß der Herrscher dem Jahrhundert seinen persönlichen Geschmack aufgezwungen habe. Vielmehr ist auch er wie die Literaten der Zeit nur ein Sklave griechischer Mode. Denn auch der griechische Stil liebte es damals, sich mit längst aus der lebenden Sprache geschwundenen Worten und Formen der alten attischen Klassiker zu schmücken.

Eins zeigt aber deutlicher als alles, wie sehr diese römischen Altertümler vom griechischen Muster abhängen. Wie manches Stück ihrer Schriften kaum viel mehr als Übersetzung aus dem Griechischen ist, so ist auch nie die lateinische Syntax und das lateinische Lexikon so von Gräzismen durchsetzt gewesen wie jetzt. Bei Tertullian gibt es Sätze, die man, um ihre Konstruktion zu verstehen, erst ins Griechische übersetzen muß; und wie Voß etwa seine zusammengesetzten Beiwörter, die rosenfingrige Eos, die weithinschattende Lanze usw., genau den griechischen nachbildet, so haben es ähnlich Apuleius und Tertullian gemacht – nur daß ihre Komposita für den Römer, der dergleichen aus seiner eigenen Sprache überhaupt so gut wie gar nicht kannte, viel barocker geklungen haben müssen als uns die Vossischen.

Die klassischen Juristen als Ausnahme.Auch in dieser Zeit stilistischer Unnatur fehlt es freilich nicht an erquickenden Oasen. Und wenigstens der größten und wichtigsten wollen wir hier gedenken. Daß die lateinische Sprache nicht an sich logisch war, wohl aber logisch denkenden Köpfen ein gutes Werkzeug, ward oben gesagt. Logischere Köpfe hat Rom nie besessen als seine Juristen. Das haben sie gerade in dieser Zeit stilistischer Ungeheuerlichkeiten bewiesen. Ins 2. Jahrhundert fällt die Blüte römischer Rechtsschriftstellerei, die Institutionen des Gaius, dies unerreichte Lehrbüchlein für angehende Juristen, und die meisten der Werke, aus denen dann im 6. Jahrhundert Justinian seine Digesten kompiliert hat, voran die Schriften Papinians († 212). Überall erfreut nicht nur die Unabhängigkeit vom Zeitgeschmack, sondern auch positiv der knappe und scharfe echt lateinische Ausdruck. Die Jurisprudenz ist auch die einzige Wissenschaft gewesen, die bei den Römern eine im wesentlichen original lateinische Terminologie hatte.

Imitation ältere Stilarten in der Spätzeit.5. Die Spätzeit. Neue Züge hat von da an der lateinische Stil kaum mehr entwickelt; so gut wie alles ist Nachahmung der älteren Perioden, und für den einzelnen ist die Frage im allgemeinen nur, wo er anknüpfen will. Die Antwort fällt sehr verschieden aus. Es gibt Leute, die ciceronianisch

Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache. B. G. Teubner, Leipzig 1913, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Griechische_und_Lateinische_Literatur_und_Sprache.djvu/559&oldid=- (Version vom 1.8.2018)