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Die Taufe.

Blonde Frauen bekommen furchtbar leicht Kinder. Blonde Frauen sind ganz besonders veranlagt, gute Mütter und Juwelen von Hausfrauen zu werden.

Mein Freund Theobald Seheim mußte einen solchen Typ deutscher Fruchtbarkeit heiraten. Es ging nicht mehr anders: das Mädchen gehörte der Gesellschaft an, und der Bruder war Reserveleutnant. Theobald hatte auch seinen Roman in der Gesellschaft haben wollen; er war dabei hereingefallen.

Wenn irgend etwas Außergewöhnliches an ihn herantrat, verlor Theobald stets völlig den Kopf. Ich war einmal sehr befreundet mit ihm und hatte ihm während der kritischen Zeit getreulich zur Seite gestanden; außerdem war ich ihm noch dreihundertzwanzig Mark schuldig.

Nach seiner Verheiratung sahen wir uns selten, er hielt sich unseren Kreisen fern. Zweimal war ich bei ihm zu Tisch, das letztemal vor etwa zwei Monaten. Die blonde Frau ging mir mit ihrem aufdringlichen Embonpoint[1] auf die Nerven. Sie verließ das Zimmer nicht einen Augenblick. Theobald hatte sich in den sechs Monaten seiner Ehe verblüffend geändert. Er war äußerst moralisch geworden und


  1. Embonpoint (frz.), Wohlbeleibtheit
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Leipzig: Ernst Rowohlt Verlag, 1911, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/019&oldid=- (Version vom 18.8.2016)