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Hans Flach: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 8
Zum Leben Hesiods

sondern nach dem opuntischen Lokris. Ob eine solche Verlegung aus Irrthum geschah, wie Rose und Bursian wollen, oder nach einem andern Localmythus, ist schwer zu entscheiden; ich möchte aber mit Rücksicht auf meine Darstellung eher glauben, dass der Rhetor dabei einen bestimmten Mythus von Aulis vor sich hatte, von wo auch, wie wir gesehen haben, mit großer Wahrscheinlichkeit der ganze Mythus vom Wettkampf in Chalkis ausgegangen war, und dass die detaillirte Benennung von Oinoe und dem Heiligthum des nemeischen Zeus entweder einer irrthümlichen Verwechslung mit der ozolischen Sage ihren Ursprung verdankt, oder wirklich einer Darstellung der Bewohner von Aulis oder dem opuntischen Lokris, dass auch dort ein Flecken Oinoe und ein solches Heiligthum gewesen sei, was an und für sich möglich wäre (Nietsche S. 235). Vielleicht wird dies dadurch bestätigt, dass in der aulidischen Sage der Name Οἰνόη (ebenso hieß eine Stadt in Argos, Paus. II 5, 2) feststeht, in der ozolischen, wie es scheint, Οἰνεών (Thuc. III 95, 98, 102; Bursian Geogr. I S. 148). Danach haben Alkidamas, die ihm entlehnte Version des Certamen, Tzetzes und die gemeinsame Quelle der letztgenannten die opuntische Sage vor Augen; Thukydides, Eratosthenes, Plutarch (der aus Eratosthenes schöpft, Nietsche S. 228) und Pausanias die ozolische. Wir erkennen sogar aus der Darstellung des Pausanias, dass ihm die opuntische Sage und mit ihr Hesiods Flucht zu Schiff ganz unbekannt geblieben ist, während er mit Molykria die Localität genauer feststellt, als Plutarch. Dass der mittelmäßige Verfasser des Certamen von der geographischen Verschiedenheit beider Mythen keine Ahnung hat, ist eine namentlich bei den Scholiasten so häufig vorkommende Ignoranz, dass sie nichts Auffallendes hat. Darin unterscheiden sich aber beide Sagen, dass die von Aulis ausdrücklich eine Flucht nach Kreta erwähnt und eine Bestrafung durch die Götter, oder wenigstens auf dem Meere, die ozolische dagegen eine Bestrafung durch die Landesbewohner (Eratosthenes im Certamen p. 323, Plutarch, Pausanias); vielleicht unterscheiden sie sich auch darin, dass die opuntische, in Aulis entstandene, ein Fest der Ariadne erwähnte (daher die Flucht nach Kreta), die ozolische ein Fest des Poseidon. Dass indessen die ozolische Sage die ältere und entschieden beglaubigtere sei, ist oben erwähnt worden, und die Autorität ist auf der Seite ihrer Gewährsmänner.

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diverse: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 8 (1874). 1874, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_8_465.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)