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Als die Pfeiler in den Lüften

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Und der Himmel ward begründet,

Als dem Mond der Weg gewiesen
Und die Sonne aufgestellet,
Als der Bär zum Ort geführet,
Ausgestreut die Sterne wurden.“
     Doch der junge Joukahainen
Gab zur Antwort solche Worte:
„Soll ich selbst Verstand nicht haben,
Werd’ ich ihn vom Schwerte fragen,
Nun du alter Wäinämöinen,

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Sänger mit dem breiten Munde,

Laß du uns die Schwerter messen,
Laß die Klingen uns beschauen!“
     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Nimmer fällt’s mir ein zu fürchten
Deine Schwerter, deine Weisheit,
Deine Klugheit, deinen Scharfsinn,
Doch dem sei nun, wie ihm wolle,
Mit dir, der du so erbärmlich,
Werd’ das Schwert ich nimmer messen,

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Nie mit dir, dem armen Wichte.“

     Doch der junge Joukahainen
Zieht gar schief den Mund und schüttelt
Sammt dem Haupt die schwarzen Haare,
Selber sprach er diese Worte:
„Wer sich scheut das Schwert zu messen,
Und die Klinge zu beschauen,
Den werd’ ich zum Schweine singen,
Ihn zum Rüsselträger zaubern,
Stecke Helden solchen Schlages

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Diesen hierhin, jenen dorthin,

Drück’ ihn in den Düngerhaufen,
Stoß’ ihn in die Eck’ des Viehstalls.“
     Unwirsch ward da Wäinämöinen,
Unwirsch ward er und ergrimmte,
Fing dann selber an zu singen,
Hob so selber an zu sprechen;
Keine Kinderlieder sang er,
Kinderkram und Weiberwitze,
Sondern Sang des bärt’gen Helden,

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Den die Kinder nimmer können,

Auch die Knaben kaum zur Hälfte,
Freiersleute fast ein Drittel
Jetzt in diesen schlimmen Zeiten,
Bei dem Sinken der Geschlechter.
Wäinämöinen sang drauf wacker,
Seeen schwankten, Länder bebten,
Kupferberge selbst erdröhnten,
Starre Steine selbst erschraken,
Felsen flogen von einander,

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Klippen an dem Strand zerschellten.

     Wandelte so Joukahainen’s
Krummholz um in junge Zweige
Und in schlechtes Stroh das Kummet,
Singet Ruthen an die Riemen,
Singt den schöngeschmückten Schlitten
In den See als schlechtes Strauchwerk,
Bannt die perlenreiche Peitsche
An den Meeresstrand als Schilfrohr.
Singt das Roß mit weißer Stirne

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An den Wasserfall als Steinblock.

     Sang das Schwert mit goldnem Schafte
Dann als Blitzstrahl an den Himmel,
Bannt des Bogens bunte Wölbung
Singend auf des Wassers Fluthen,
Wandelte die flücht’gen Pfeile
Um zu Habichten, die kreischen,
Dann den Hund mit krummer Schnauze
Um zum Felsblock auf dem Boden.
     Sang dem Mann die Mütz’ vom Kopfe,

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Wandelt sie in Wolkenhaufen,

Singt die Handschuh von den Händen
In den See als Wasserblumen,
Läßt das blaue wollne Wämmschen
Lämmerwolken an dem Himmel,
Läßt den weichen Gurt vom Gürtel
Dort zu Sternenschaaren werden.
     Sang den Joukahainen selber
Bis zum Gurt in tiefe Sümpfe,
Bis zur Hüft’ in Wasserwiesen,

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Bis zum Arm in Sandestiefen.

     Jetzt wohl mußte Joukahainen,
Mußt’ er merken und begreifen,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_014.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)