Frage nicht nach deinem Golde,
Hab’ genug davon wohl selber,
Jede Kammer voll gekramet,
Gold mit ew’gem Mondesglanze,
Silber mit dem Sonnenschimmer.“
Sang den jungen Joukahainen
In den Sumpf sofort noch tiefer.
Sprach der junge Joukahainen:
„O du alter Wäinämöinen,
Laß mich aus dem Schreckensloche,
Aus der unbequemen Enge,
Gebe dir Getreidehaufen,
Um mein Leben auszulösen,
Um mich selber zu befreien!“
Sprach der alte Wäinämöinen:
„Geh mit den Getreidehaufen,
Fort mit deinen fetten Feldern,
Habe deren selber welche,
Felder fast an jeder Ecke,
Hab Getreid’ auf jedem Grunde,
Eigne Felder sind die besten,
Sang den jungen Joukahainen
In den Sumpf nur immer tiefer.
Ward dem jungen Joukahainen
Endlich gar zu angst und bange,
Steckte bis zum Knie im Sumpfe,
Mit dem Barte in dem Boden,
Hat den Mund voll Moos und Erde,
Streift die Sträucher mit den Zähnen.
Sprach der junge Joukahainen:
Einzig ew’ger Zaubersprecher,
Nimm den Zaubersang zurücke,
Laß mir noch mein liebes Leben,
Laß mich aus dem Loche kommen,
Fort schon zieht der Fluß die Füße
Und vom Sande schmerzt das Auge.“
„Wendest du die Zauberworte,
Nimmst du ab den bösen Bannspruch,
Geb’ ich Aino, meine Schwester,
Daß sie dir die Stube kehre,
Rein den Raum dir immer halte,
Blank die Bütten spül’ und scheure,
Deines Bettes Tücher breite,
Goldne Decken wirk’ und webe,
Honigbrod dir immer backe.“
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Wurde nun gar froh und munter,
Daß er Joukahainen’s Schwester
Setzt sich auf den Freudefelsen,
Stellt sich auf den Stein des Sanges,
Singt ein Weilchen, singt von neuem,
Singt dann noch zum dritten Male.
Wendet so die Zauberworte,
Nimmt den Zauberspruch zurücke.
Kam der junge Joukahainen
Aus dem Sumpfe mit den Knieen,
Mit dem Barte aus dem Boden,
Aus des Ufers Strauch sein Schlitten,
Aus dem Schilfrohr seine Peitsche.
Stellt in Ordnung seinen Schlitten,
Wirft sich selber in denselben,
Fährt davon mit trüber Laune,
Mit gar schlechter Herzensstimmung,
Hin zu seiner lieben Mutter,
Hin zu ihr, der greisen Alten.
Fuhr gar rauschend nach der Heimath,
Bricht den Schlitten an dem Dreschhaus,
Und die Deichsel an der Pforte.
An zu rathen fing die Mutter
Und der Vater sprach die Worte:
„Wohl zum Scherz hast du den Schlitten,
Hast die Deichsel du zerbrochen!
Weshalb kommst so wunderseltsam
Und betroffen du nach Hause?“
Mußt’ der junge Joukahainen
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_016.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)