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     Schmierte darauf Wäinämöinen,
Heilte ihn, den Schlechtgefahrnen,
Schmiert ihn oben, schmiert ihn unten,
Schmiert ihn gleichfalls in der Mitte,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
„Wandle nicht mit eignem Fleische,
Wandle mit dem Fleisch des Schöpfers,
Schwebe nicht mit eignen Kräften,

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Schwebe mit des Mächt’gen Kräften,

Spreche nicht mit eignem Munde,
Spreche mit dem Mund des Höchsten,
Ist in meinem Munde Anmuth,
Ist des Schöpfers Mund dran reicher,
Sind voll Schönheit meine Hände,
Sind des Höchsten Hände schöner.“
     Als die Salbe aufgestrichen,
Als das Mittel aufgeleget,
Wirkt es, daß zusammen sinket

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Von dem Schmerze Wäinämöinen,

Hierhin sich und dorthin wendet,
Nirgends aber Ruhe findet.
     Da verbannt der Greis die Schmerzen,
Treibt er fort die starken Qualen
Nach des Schmerzenberges Mitte,
Zu des Qualenhügels Gipfel,
Um den Steinen Schmerz zu bringen,
Um die Felsen abzumartern.
     Griff nach einem Bündel Seide,

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Schneidet Streifen in die Breite,

Reißt dieselben von einander,
Macht aus ihnen gute Binden,
Bindet dann mit dieser Seide
Und umwickelt gar geschmackvoll
Wäinämöinen’s Knie, das kranke,
Und des armen Mannes Zehen.
     Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
„Gottes Seide dient zur Binde,

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Gottes Stoff dient zur Umhüllung

An dem guten Knie des Mannes,
An den Zehen voller Kräfte!
Blicke her, o Gott voll Schönheit,
Schütze uns, o starker Schöpfer,
Daß wir nicht in Unglück kommen,
Wir dem Schaden nicht verfallen!“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Ward gar bald der Hülfe inne,
Wurde bald gesunden Leibes,

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Schön gedieh das Fleisch am Leibe,

Wurde unten ganz geheilet,
In der Mitt’ des Schmerzes ledig,
Auf den Seiten ohne Schaden,
Oben ohne alle Narben,
Wurde trefflicher denn früher,
Besser als es je gewesen;
Schon vermag der Fuß zu gehen,
Schon das Knie sich zu bewegen,
Schmerzte ihm nicht im geringsten,

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Macht ihm keineswegs Beschwerden.

     Es erhob da Wäinämöinen
Seine Augen in die Höhe,
Blickte mit gar großer Freude
Auf zum Himmel über’m Haupte,
Redet’ Worte solcher Weise,
Ließ auf diese Art sich hören:
„Dorther kommet stets die Gnade,
Dorther die bewährte Hülfe,
Dorther, von dem Himmel droben,

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Von dem machterfüllten Schöpfer.“

     „Sei gepriesen nun, o Höchster,
Hoch gelobet du, o Schöpfer,
Daß du Hülfe mir gewähret,
Deinen Schutz mir zugewendet
Bei den gar zu harten Schmerzen,
Bei dem Leib durch Eisenschärfe!“
     Sprach der alte Wäinämöinen
Ferner Worte solcher Weise:
„Zimmre nicht, o Volk der Zukunft,

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Nicht, o Volk, das nun emporsteigt,

Und die Wette je ein Fahrzeug,
Prahlend nicht des Bootes Wölbung,
Gott nur setzt dem Lauf ein Ende,
Er, der Schöpfer, nur Vollendung,
Nimmer wird der Held sie finden,
Nie des Kräft’gen Hand sie bieten.“

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_046.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)