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am Waldrande blieb sie stehen, um Atem zu schöpfen. Sie lehnte sich an eine Tanne, glitt an dem großen, rauhen Stamme nieder und weinte, nicht das stille Weinen der Erwachsenen, es war das Weinen böser Kinder, das das Gesicht verzieht und entstellt, und dabei jammerte sie leise: „Was soll ich tun! Was soll ich tun!“


Als Beate in der Nacht am Bette ihrer Mutter wachte, legte die Kranke ihre Hand auf Beatens Hand, eine Hand weich wie welkende Malvenblätter; und sie begann zu sprechen, leise und mühsam: „Beating – es kommt viel vor – ich weiß – nie fortgehn – nie. Die armen Männer sind so unruhig – ich weiß. Warten müssen wir – warten, – sie kommen doch zu uns. Du glaubst nicht, – wieviel wir – vergessen können. Und dann kommt Friede – ich weiß – ich weiß.“ Die Stimme wurde schwächer, versiegte. Beate weinte, aber in ihr empörte sich etwas gegen die Worte der Sterbenden. „Warten?“ Auf wen? Günther? Wußte sie denn, wer dieses Gespenst dort in der Türkenbude hinter dem verblichenen Vorhange war? Die anderen konnten kommen – und ihr, ihr Eigentum und ihren Frieden nehmen, und sie mußte vergessen – warten? „Ich weiß – ich weiß“ hatte die Mutter gesagt. Hatte denn auch dieses Leben solche dunkle, unbegreifliche Stellen gehabt? Beate sah ihren Vater vor sich, den Greis mit dem strengen Elfenbeingesicht über der leichtgebeugten Gestalt. Eine etwas bedrückende Luft von Ehrfurcht umwehte ihn. Die Kinder wurden in seiner Gegenwart still und scheu. Als er gestorben war, sprach die Mutter von ihm, „dem lieben Papa“, mit dem

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Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/116&oldid=- (Version vom 1.8.2018)