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„Bitte, Herr Graf, von Vorfahren hör’ ich sehr gern.“

„Na also!“ begann Günther nachdenklich. „Vor einigen hundert Jahren war’s. Ein Graf Günther von Tarniff verließ sein deutsches verschneites Schloß und seine schöne, weiße Gräfin und zog in das gelobte Land. Nach drei Jahren kehrte er heim. Seine blonde Gräfin hatte treu auf ihn gewartet. Im Morgenlande aber hatte er in einem weißen Hause auf einem roten Felsen eine braune, schwarzäugige Gräfin zurückgelassen.“

„Aha! Ich versteh’,“ warf Peter ein.

„Gut! Der Graf blieb drei Jahre bei seiner blonden Gräfin, da begann ihn die Sehnsucht nach den braunen Armen der Morgenländerin zu quälen und er wollte sich auf die Reise machen. Nun gab’s schon damals Diener, die mehr sprachen, als sie sollten. So ’n Kerl hatte der Gräfin mitgeteilt, was ihren Gemahl von ihr trieb. Die schöne Frau weinte zwar, aber sie sagte zu ihrem Grafen:

„Ich halte dich nicht. Geh deiner Sehnsucht nach. Gott gab dir ein zwiespältiges Herz; möge dieses Herz dich auch wieder zu mir zurückführen.“

„Bravo!“ rief Peter.

„Daß an dem Bravo des Peter Ruskowski der Gräfin etwas gelegen gewesen wäre,“ fuhr Günther fort, „glaube ich kaum. Also, der Graf pilgerte in das Gelobte Land, wohnte in dem weißen Hause auf dem roten Felsen und trank sich toll und voll an der wilden Liebe seiner braunen Gräfin. Als nun die Zeit gekommen war, da ihn wieder nach Tannen, Schnee und der bleichen, blonden Frau verlangte, da tobte und schrie die braune Gräfin. „Ich weiß,

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Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/60&oldid=- (Version vom 1.8.2018)