Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1850 I 015.jpg

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so lieb daß er es nicht glauben wollte, und befahl den Räthen bei Leibes- und Lebensstrafe nichts mehr darüber zu sprechen.

Im nächsten Jahre gebar die Königin ein schönes Töchterlein, da erschien ihr zum drittenmal Nachts die Jungfrau Maria und sprach „folge mir.“ Sie nahm sie bei der Hand und führte sie in den Himmel, und zeigte ihr da ihre beiden ältesten Kinder, die lachten sie an und spielten mit der Weltkugel. Als sich die Königin darüber freuete, sprach die Jungfrau Maria „ist dein Herz noch nicht erweicht? wenn du eingestehst daß du die verbotene Thür geöffnet hast, so will ich dir deine beiden Söhnlein zurück geben.“ Aber die Königin antwortete zum drittenmal „nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet.“ Da ließ sie die Jungfrau wieder zur Erde hinabsinken und nahm ihr auch das dritte Kind.

Am andern Morgen, als es ruchbar ward, riefen alle Leute laut „die Königin ist eine Menschenfresserin, sie muß verurtheilt werden,“ und der König konnte seine Räthe nicht mehr zurückweisen. Es ward ein Gericht über sie gehalten, und weil sie nicht antworten und sich nicht vertheidigen konnte, ward sie verurtheilt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Das Holz wurde zusammengetragen, und als sie an einen Pfahl festgebunden war und das Feuer rings umher zu brennen anfieng, da schmolz das harte Eis des Stolzes und ihr Herz ward von Reue bewegt, und sie dachte „könnt ich nur noch vor meinem Tode gestehen daß ich die Thür geöffnet habe“, da kam ihr die Stimme daß sie laut ausrief „ja, Maria, ich habe es gethan!“ Und alsbald fieng der Himmel an zu regnen und löschte die Feuerflammen, und über ihr brach ein Licht hervor, und die Jungfrau Maria

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1850). Göttingen: Dieterich, 1850, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1850_I_015.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)