Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 010.jpg

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den Bart scheren zu lassen, wie das bei Musäus in der Sage von stummer Liebe (4, 65–82) vorkommt, und Ähnliches von Cl. Brentano in den Anmerkungen zu der Gründung Prags erzählt wird. Er thuts ohne Furcht, wie das Gespenst zu Ende ist, will es ihm auch den Hals abschneiden, aber in dem Augenblick schlägt es zwölf und es verschwindet. Angeknüpft ist dann hier die Sage von dem getödteten Drachen dem er die Zunge ausschneidet, womit er sich späterhin als Sieger ausweist und die Königstochter gewinnt; wie sie in dem Märchen von den Goldkindern (Nr. 85) ausführlich vorkommt. Eine fünfte Erzählung aus Zwehrn verdient unabgekürzt hier mitgetheilt zu werden.

Es ist einmal einer in der Welt gewesen, dessen Vater war ein Schmied, den haben sie auf den Todtenhof und aller Orten hingebracht, wo es fürchterlich ist, aber er hat sich nicht gefürchtet. Da sprach sein Vater „komm nur erst in die Welt, du wirst es schon noch erfahren“. Da gieng er fort, und es trug sich zu, daß er Nachts in ein Dorf kam, und weil alle Häuser verschlossen waren, legte er sich unter den Galgen. Und als er einen daran hängen sah, redete er ihn an und sprach „warum hängst du da?“ Da antwortete der Gehenkte „ich bin unschuldig, der Schulmeister hat das Glöckchen vom Klingelbeutel gestolen und mich als den Dieb angegeben. Wenn du mir zu einem ehrlichen Begräbnis hilfst, so will ich dir einen Stab schenken, womit du alle Gespenster schlagen kannst. Das Glöckchen hat der Schulmeister unter einen großen Stein in seinem Keller versteckt“. Als er das gehört hatte, machte er sich auf, gieng in das Dorf vor des Schulmeisters Haus und klopfte an. Der Schulmeister stand auf, wollte aber seine Thüre nicht öffnen, weil er sich fürchtete, da rief jener „wo du deine Thüre nicht aufmachst, so schlag ich sie ein“. Nun öffnete sie der Schulmeister, und jener packte ihn gleich im Hemde wie er war, nahm ihn auf den Rücken und trug ihn vor des Richters Haus. Da rief er laut „macht auf, ich bringe einen Dieb“. Als der Richter herauskam, sprach er „hängt den armen Sünder draußen vom Galgen herab, er ist unschuldig, und hängt diesen dafür hin, er hat das Glöckchen vom Klingelbeutel gestolen, es liegt in seinem Keller unter einem großen Stein“. Der Richter schickte hin, und das Glöckchen ward gefunden, so daß der Schulmeister den Diebstahl bekennen mußte. Da sprach der Richter das Urtheil, daß der Unschuldige vom Galgen

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_010.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)