Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 076.jpg

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da kannst du sehen, über was für Schätze du Meister bist“. Als er abgereist war, gieng sie durchs ganze Haus und fand alles so schön daß sie völlig zufrieden war. Endlich kam sie auch an einen Keller, darin saß eine alte Frau und schrappte Därme. „Ei Mütterchen“ sprach das Mädchen, „was macht sie da?“ „Ich schrappe Därme, mein Kind, morgen schrapp ich eure euch“. Davon erschrak sie so daß sie den Schlüssel welchen sie in der Hand hielt, in ein Becken mit Blut fallen ließ, welches nicht gut wieder abzuwaschen war. „Nun“, sprach die Alte, „ist euer Tod gewis, weil mein Herr an dem Schlüssel sieht daß ihr hier in der Kammer wart, wohin außer ihm und mir niemand kommen darf“. Da sah die Alte daß in dem Augenblick ein Wagen Heu vom Schloß wegfahren sollte und sprach „willst du dein Leben behalten, so versteck dich in das Heu, dann wirst du mit fortgefahren“. Das that sie und kam glücklich hinaus. Der Herr aber, als er heim kam, fragte nach dem Mädchen. „O“, sagte die Alte, „ich hatte keine Arbeit mehr, und da sie morgen doch dran mußte, so habe ich sie gleich geschlachtet; hier ist eine Locke von ihrem Haar und auch das Herz, da steht auch noch warm Blut: das übrige haben die Hunde gefressen, ich schrapp da noch die Därme“. Da gab er sich zufrieden und glaubte das Mädchen wäre todt. Sie war aber in ein Schloß, wohin der Wagen mit Heu verkauft war, gekommen, dort sprang sie heraus und erzählte dem Herrn vom Schloß wie alles sich zugetragen hatte. Er bat sie da zu bleiben, und nach einiger Zeit gab er allen Edelleuten in der Nähe ein Fest und lud auch jenen aus dem Mordschloß dazu ein. Das Mädchen mußte sich mit an die Tafel setzen, Gesicht und Kleidung waren aber so verändert daß es nicht zu erkennen war. Wie sie alle beisammen saßen, sollte jeder etwas erzählen, als nun die Reihe an das Mädchen kam, erzählte es seine Geschichte. Dem Herrn vom Mordschloß ward dabei so ängstlich ums Herz daß er mit Gewalt fortwollte; aber der Herr vom Hause ließ ihn festnehmen. Da wurde er gerichtet, sein Mordschloß niedergerissen, und seine Schätze erhielt das Mädchen, das sich mit dem Sohne des Hausherrn verheirathete und lange Jahre lebte. Für Schweden ist ein Volkslied bei Geyer und Afzelius zu vergleichen (3, 94), bei Asbjörnsen (S. 237) ein norwegisches Märchen. In der 1001 Nacht in der Geschichte des dritten Kalenders (Nacht 66) kommt auch das Verbot vor ein bestimmtes Gemach in einem Palast nicht zu betreten, und die Nichtachtung desselben wird bestraft.

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_076.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)