Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 077.jpg

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47.
Der Machandelboom.

Von Runge nach der Volkserzählung aufgeschrieben. Nach einer von Moné uns mitgetheilten Erzählung aus der Pfalz wird das Schwesterchen von der Mutter neben den Topf gestellt, worin das gemordete Brüderchen kochen soll. Es ist ihm streng verboten hineinzusehen, doch wie es so arg in dem Topf kocht, deckt es einmal auf, und da streckt ihm das Brüderchen das Händchen heraus. Darüber kriegt es Angst und macht gleich wieder zu, weint aber dabei. Wie es gar gekocht ist, muß es dem Vater das Essen in den Weingarten hinaustragen; es sammelt die Knochen und begräbt sie unter einen wilden Mandelbaum. Andere erzählen es hätte sie eingefädelt und zum Speicher hinausgehängt. Da ist das Brüderchen in ein Vögelchen verwandelt worden und hat gepfiffen

„mei Moddr hot mi toudt g’schlagn,
mei Schwestr hot mi hinausgetragn,
mei Vaddr hot mi gesse:
i bin doch noh do!
Kiwitt, Kiwitt“.

Auch erzählt man in der Pfalz noch eine andere Einleitung, die Stiefmutter schickt einmal die zwei Kinder in den Wald Erdbeeren zu suchen, wer der erste heim wird kommen, soll einen Apfel haben. Da bindet das Bübchen das Mädchen an einen Baum und kommt zuerst zurück, die Mutter hat ihm aber nichts geben wollen, bis er sein Schwesterchen erst heim gebracht. Die Geschichte wird in Hessen häufig, selten aber so vollständig erzählt; es läßt sich daraus etwa nur noch hinzusetzen daß das Schwesterchen die Knochen an einem rothseidenen Faden zusammenreiht. Der Vers lautet

„meine Mutter kocht mich,
mein Vater aß mich,
Schwesterchen unterm Tische saß,
die Knöchlein all all auflas,
warf sie übern Birnbaum hinaus,
da ward ein Vögelein daraus,
das singet Tag und Nacht“.

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_077.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)