Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 151.jpg

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Wasser vorschütten“. Aber sie gießt und kann nicht aufhören, der Eimer wird nicht leer, und sie muß den langen Tag ewig Wasser gießen bis Sonnenuntergang, so daß die ganze Gegend überschwemmt wird und die Nachbarn spöttisch den Schaden vergütet haben wollen. In der Frau Naubert Volksmärchen 1, 201–209 wird diese chinesische Erzählung schön ausgeführt und dem segensreichen Leinwandmessen ein unseliger Spinnenwebwachsthum entgegen gestellt. Ähnliches kommt in einem Märchen vor, das wir in Hessen gehört haben. Ein wandernder Handwerksbursch wird von einer reichen Frau, die er um eine Gabe anspricht, abgewiesen und aus Spott zu einer armen Nachbarin geschickt. Diese nimmt ihn auf und wird bei der Abreise von ihm damit begabt daß ihr erstes Beginnen gedeihen solle, so lange sie nicht darin gestört werde. Die Arme mißt Leinwand und mißt immer zu, bis endlich die reiche Nachbarin zur Stube hineinschaut und die Menge Leinwand erblickt; da hört der Segen auf. Sie erfährt die Ursache und bittet ihr den Handwerksgesellen zuzuweisen, wenn er wiederkehre. Über ein Jahr kommt der Wanderer wieder in das Dorf und kehrt bei der Armen ein, die ihn zwar gern aufnehmen will, aber ihm sagt daß ihre reiche Nachbarin ihn beherbergen wolle, bei der er auch sich besser befinden werde. Er geht hin und wird übersorgfältig behandelt. Die Frau sucht das feinste Leinen aus, um es gleich zur Hand zu haben. Sie wird bei der Abreise von dem Wanderer ebenso wie die Arme begabt. Voll Begierde und um ungestört messen zu können, schließt sie die Hausthüre ab, und begibt sich zuvor eilig auf den Abtritt. Hier aber muß sie sitzen bleiben und kann nicht aufhören, der Koth häuft sich auf, sie weiß sich nicht zu retten und schreit in der Noth so laut um Hilfe, daß es endlich die arme Nachbarin hört, zum Fenster einsteigt und zu ihr kommt, worauf ein Stillstand eintritt. Hier ist auch eine äsopische Fabel (im zweiten Anhang zu Phädrus Nr. 111), Mercurius et mulieres, zu erwähnen.

Die Sage überhaupt gehört in den Kreis jener von dem Wandern und Reisen der Götter und Heiligen auf Erden. Wo sie gehen, entspringt den Guten und Reinen Heil, den Bösen, Geizigen, Häßlichen Verderben: das Glück das jenen zu Theil geworden, erbitten sich diese plump zu ihrem Unglück; damit prüfen die Götter zugleich das Menschengeschlecht (vergl. altd. Wälder 2, 25 Anm. 60. Odyssee 17, 485 und das eddische Lied von Rîgr). So gehört auch das

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_151.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)