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Im Baumeswipfel verlangend bebte
Das Blatt; es streckte begehrend die Blume
Zum Nachbarkelche goldarmige Fäden;
Mit blühenden Gliedern verschlang sich das Leben,
Und ein ungeheurer, ein jubelnder Schrei,
Wie einer unendlichen Lippe Dank,
Brach zum erstenmal wonnetrunken
Zum Himmel auf. Nur Lilith blieb stumm;
Ihr Auge überflog der eignen Schönheit
Millionenfachen Abglanz, und mit unermeßner
Sehnsucht sah sie empor. Da öffnete
Zum zweitenmale sich des Himmels Wölbung,
Und in das Paradies, nach Gottes Bild
Geschaffen, trat der erste Mann. Aufglänzten
Wie Weltallssonnen die Augen Liliths;
Sie hob sich empor und streckte die Hand,
Und die Allesbeglückende beugte die Knie
Und bat: „Sei mein.“ Ihm aber grauete
Vor ihrer Schönheit und dem heißen Durst
Der Augensterne, und er floh und rief:
„Gib, Vater, mir ein Weib, nicht eine Göttin!
Gib mir ein Wesen, das, untertan,
Dem Manne gehört, nicht ihm der Mann;
Gib mir eine Mutter des Menschengeschlechtes,
Die willig empfängt, doch nimmer begehrt!“
Er rief’s, und Eva stand an seiner Seite
Und schmiegte furchtsam und in Scham errötend
Die Stirn an seine Brust. – Da bebte jäh
Der Erde Grund. In wahnsinnswildem Krampf
Verzerrte sich das Götterantlitz Liliths,
Von ihrer Stirne schwand der Sonne Glanz,
Die erste Nacht umfing mit kaltem Schauer
Der Erde Rund, und Liliths Aug’ entströmte
Die erste Tränenflut, der erste bittre Tod
Von tausend Leben. – Doch im Felsenbett
Der sicheren Grotte flüsternd feierte
Das erste Menschenpaar die erste Brautnacht.
Nicht war es die Sonne, die glühenden Brands
Verlangen goß in der Glieder Umarmung,
Der bleiche Mond durchfloß mit kühlem Schein