Seite:Loos Sämtliche Schriften.pdf/155

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erfüllen. Allein die, die über ihm stehen, die, die dieses parvenü-stadium schon überwunden haben, die wissenden also, sie lächeln über seine nutzlosen anstrengungen. Und mit der zeit gehen auch dem parvenü die augen auf. Bald erkennt er dieses, bald jenes unechte bei seinen freunden, das er früher noch für echt gehalten hat. Dann gibt er’s resigniert auch für sich selbst auf.

Armut ist keine schande. Nicht jeder kann in einem feudalen herrensitz auf die welt gekommen sein. Aber seinen mitmenschen einen solchen besitz vorzuspiegeln, ist lächerlich, ist unmoralisch. Schämen wir uns doch nicht, in einem haus mit vielen anderen, uns sozial gleichstehenden menschen zur miete zu wohnen! Schämen wir uns doch nicht der tatsache, daß es stoffe gibt, die uns als baumaterial zu teuer sind! Schämen wir uns doch nicht der tatsache, menschen aus dem neunzehnten jahrhundert zu sein, nicht solche, die in einem hause wohnen wollen, das seiner bauart nach einer früheren zeit angehört! Ihr würdet dann sehen, wie schnell wir den ureigenen baustil unserer zeit erhalten würden. Den haben wir sowieso, wird man einwenden. Ich meine aber einen baustil, den wir mit gutem gewissen der nachwelt überliefern könnten, auf den noch in ferner zukunft mit stolz hingewiesen würde. Diesen baustil hat man aber in unserem jahrhundert in Wien noch nicht gefunden.

Ob man aus leinwand, pappe und farbe holzhütten darzustellen sucht, in denen glückliche bauern leben, oder aus ziegeln und zementguß vorgebliche steinpaläste errichtet, in denen feudale großherren ihren sitz zu haben scheinen, im prinzip bleibt es das gleiche. Über der wiener architektur dieses jahrhunderts schwebte der geist Potemkins.

Empfohlene Zitierweise:
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/155&oldid=- (Version vom 1.8.2018)