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ist, denn du, mein Gott, hast mich ja auf ihn hingewiesen. Du, der du dem Reichen wie dem Armen sein Loos hast zugetheilt, du weißt allein, was dem Menschen in Wahrheit frommt und nützt und welche Lage und welcher Stand, der hohe oder der niedere, der dunkle oder der glänzende, unsern Kräften und Fähigkeiten am angemessensten und entsprechendsten ist. Wäre es bei mir gestanden, ich hätte in der Befangenheit und Beschränktheit des menschlichen Sinnes mir freilich einen andern Weg gewählt, die schimmernde lockende Bahn des Reichthums und des Ueberflusses vorgezogen. Aber weiß ich denn, ob ich darauf auch sicher gewandelt wäre, weiß ich es, ob mein Herz nicht erlegen wäre den Einflüssen des Reichthums, nicht wäre hart geworden gegen meines Nächsten Unglück, unempfänglich gegen die stillen, häuslichen Genüsse, bethört und geblendet von Stolz, hingegeben der Eitelkeit und dem Eigendünkel, bestrickt von Leichtsinn und von Gottesvergessenheit; während die Armuth mir Mitleid und Erbarmen gegen meinen Nebenmenschen in die Seele gießt, mich an Demuth und Geduld gewöhnt, mein Herz ganz den heiligen Freuden der Häuslichkeit öffnet, die kleinste Gabe Gottes mich als eine Wohlthat begrüßen lehrt, mich durch Thätigkeit vor Erschlaffung hütet, und Ausdauer und Fleiß mir zum Eigenthum gibt.

Wohl hat die Armuth oft ihre bitteren, herben Stunden, wo schwer und schmerzlich die Last des Ungemachs und des Elends sich auf uns legt; in solchen Stunden laß, o Gott, deinen Beistand, deine Hilfe mir nahe sein und meine Hoffnung und mein Vertrauen auf dich nimmer wanken. Und warum sollte ich auch zagen und bangen, bist du nicht ein Gott des Erbarmens und ein Gott der Allmacht! Ein Wort, ein Wink, ein Hauch von dir und das trübste Schicksal wird licht und hell. Du richtest auf des Gebeugten Haupt, erhebst den Armen und Dürftigen und setzest ihn hin zu den Edeln im Lande. Du sendest die Hilfe, wenn wir auch nicht sehen, wie und von wannen sie kommen kann; plötzlich, unerwartet, ungeahnt kommt die Stunde der Rettung und des Heils, wo einzieht Jubel und Seligkeit in unser Herz, und aus der thränenvollen Saat eine reiche Freudenernte für uns emporwächst.

Darum sei gepriesen, Herr, wo du uns gewährst, und gepriesen, wo du uns versagst. Nicht ängstigen und sorgen will ich mich, alle meine Sorgen werfe ich auf den Herrn, denn du liebst mich und sorgst für mich, du wirst mir niemals fehlen lassen,

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Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/120&oldid=- (Version vom 1.8.2018)