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ich mein Auge zum Schlummer schließe, will ich es zuerst noch dankend zu dir, mein Schöpfer, erheben, bevor ich mein Denken und Fühlen dem Schlafe gefangen gebe, soll der Gedanke an dich noch mein Herz beschäftigen.

Und wie wohl thut es meiner Seele, an dich zu denken, Allgütiger, der du so gnadenvoll, so mild, so väterlich uns hegst und trägst. „Wie süß ist es, dir zu danken und deinen Namen, der so groß ist und so herrlich, in Lob und Preis auszusprechen.” Wie mannigfache Wohlthaten habe ich schon heute von dir empfangen, mit wie vielen Gaben und Segnungen hast du mich erfreuet. Des Himmels Licht hast du mir leuchten, an der Erde Pracht mein Auge sich ergötzen lassen; deine Milde hat mich gesättigt, deine himmlische Huld mit den Fittigen der Liebe mich gedeckt, und deine Gnadenhand mich gehalten und emporgetragen über so mancherlei Uebel und Gefahren, die unsichtbar mich umschwebten. Aller Frohmuth, den ich empfunden, kam von dir, und in trüben Schmerzensstunden hast du mein müdes Haupt an dein treues Vaterherz gelegt, und mich mit deinem Himmelstrost gestärkt.

Drum danket meine Seele dir, mein Mund preiset dich, mein Herz hanget an dir in Liebe und Zuversicht, du Unerforschlicher in den Höhen, der du stets gibst, und nie empfängst, Segen spendest, und keines Segens bedarfst, der du selber bist der unversiegbare Quell und Born alles Guten und Segenreichen! Ja du, mein Gott, bist voll unbegrenzter Huld und Liebe, doch ich – mit Angst und Zagen frage ich mich: Habe ich auch durch mein Wirken und Schaffen am heutigen Tage deiner Liebe mich würdig gezeigt? habe ich diesen Tag auch so verlebt, wie ich ihn hätte verleben sollen? – Habe ich alle meine Gelübde und Pflichten gegen Gott und meinen Nächsten erfüllt? – Habe ich das Gute, das sich mir zu thun dargeboten, nicht verabsäumt, oder es nur halb getan, mit lauem Sinn, mit kaltem, unfreundlichem Herzen? – Habe ich Gott in allen seinen Wegen und Schickungen verehrt, auf ihn meine Hoffnung, in ihn meine Zuversicht gesetzt? – Habe ich allen Versuchungen zur Thorheit und Sünde widerstanden?

Mit Schmerz und Reue muß ich es bekennen, Gott, ich habe vor dir gesündiget! Nicht immer habe ich dich im Herzen getragen, nicht immer bin ich auf dem Wege geblieben, den du in Huld und Gnade uns vorgezeichnet, nicht immer hat der Gedanke an


Empfohlene Zitierweise:
Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)