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öffnen, in ihren Ermahnungen wir uns stählen zur Ausübung unserer Pflichten und in ihren Hinweisungen auf dich, du Erhabener, den Trost und die Erhebung finden, um im Kampfe mit den Mühsalen der Erde freudig und muthig zu bestehen.

Gib, o Gott, daß die Feier dieses Festes mein ganzes Leben verkläre, es zu einem großen Festtage mache – zu einem Feste der Erinnerung an deine heiligen Lehren, an deine inhaltreichen zehn Worte. Amen.


Am Zerstörungstage Jerusalems, den 9. des Monats Aw.[1]

„Vergessen könnt’ ich meine Rechte,
Doch Zion, nie vergess’ ich dein,
Wenn deiner ich nicht mehr gedächte,
Mög’ mir geraubt die Sprache sein,
Wenn meine höchste Lust und Liebe
Jerusalem nicht immer bliebe.“
 (Ps. 137, 5–6.)

Eine traurige Erinnerung durchzieht heute unsere Seele, unser Geist trägt uns hin in die alte Heimath unseres Volkes, an die Thore der Stadt, die man die königliche nannte. Weinend weilt unsere Seele in deinen Mauern, Jerusalem! – Jerusalem! wo ist deine Pracht und Majestät, wo sind deine Könige, aus Davids, des heiligen Sängers, Stamm entsprossen, wo ist dein Tempel, über dem die Glorie des Herrn strahlte? dein Allerheiligstes, worin der Allerhöchste thronte? Wo sind deine Altäre, worauf das freudvolle Gemüth seine Dankopfer niederlegte, und das reuegequälte Herz durch Sündenopfer sich Entlastung und Versöhnung verschaffte? Wo sind deine Priester, deine Propheten, diese Wortführer bei Gott für den Sündigen und Schuldigen, diese begeisterten Mahner und Warner der Menschheit, diese beredten Verkündiger des Göttlichen und Heiligen?


  1. Der neunte Ab, das größte der jüdischen Trauerfeste. An diesem Tage wurde einst der erste Tempel durch Nebucadnezar, der zweite durch Titus zerstört und das Israelitische Reich durch die Römer gänzlich aufgelöst.
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Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/48&oldid=- (Version vom 1.8.2018)