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Ja, furchtbar und verabscheuungswerth ist die Sünde, denn sie entstellt und zerstört nicht nur unser inneres Wesen, sie entstellt und zerstört auch unsere äußere Gestalt. Zum Dank, daß wir sie in uns aufgenommen, rüttelt sie an den Pfeilern unserer Gesundheit, zehrt des Lebens Kraft und Blüthe auf, und verwischt auf unserm Antlitze den Strahl und Abglanz der Gottesähnlichkeit, dessen Insiegel Unschuld und Reinheit des Herzens darauf eingeprägt haben.

O, ich hasse und verabscheue die Sünde und will sie abschütteln von mir mit aller Kraft der Seele! Erwacht in mir alle Regungen zum Guten, alle Triebe meines besseren Ichs, zum Kampf gegen die Macht des Bösen in mir; wach auf mein Gewissen in all deiner Gewalt, laß ertönen deine mahnende, drohende Stimme, wenn die Zauberworte der Verführung zu mir dringen, und ich in meiner Schwachheit und Verblendung von ihr überlistet und bethört zu werden in Gefahr bin! O, meine Seele, gedenke deiner hehren Bestimmung und reiße dich los von der verderblichen Gemeinschaft mit der Sünde, unterdrücke die sündlichen Neigungen und Gewohnheiten und fühle dich zu groß und zu erhaben für die Eindrücke dessen, was niedrig ist und gemein; gedenke deiner erhabenen Würde und tritt nur in Verbindung mit dem, was selber erhaben ist und würdevoll, öffne dich nur für reine lautere Gedanken, nur gottgefällige Gefühle nimm in dich auf, Entschlüsse, die mit dem Gedanken an Gott nicht im Widerspruche stehen; nur den Wünschen und Bestrebungen gib dich hin, die nicht verletzend das Gewissen berühren, die nicht störend auf deinen Frieden und dein heiteres Bewußtsein wirken.

In diesen heiligen Stunden, die du, mein Gott, zu unsrer Reinigung und Entsühnung, zur Wiedererweckung unsrer Tugend, zur Annäherung unsres Geistes an das Himmlische und Göttliche geschaffen; in diesen heiligen Stunden will ich alle Kräfte meines Wesens, alle Gefühle meines Herzens, all mein Wünschen, all mein Wollen und Können in den Einen feststehenden Gedanken, in den Einen unerschütterlichen Vorsatz vereinen: alle bösen Triebe und sündigen Gelüste in mir zu tilgen, eine vollkommene Besserung und Bekehrung, die Wiedergeburt der Unschuld und Reinheit meines Herzens in mir zu erwirken. – Doch, mein Gott, was hier in diesen heiligen Räumen mich durchglüht, wo ich deine Nähe mehr als an allen andern Orten ahne; was mich heute begeistert, wo ich mein Ohr verschlossen halte gegen jede Anforderung der

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Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/58&oldid=- (Version vom 1.8.2018)