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Weisheit mich das Rechte finden, damit ich stets die Tugend übe, dein Wort und Gebot in Treue und Liebe befolge und in Unschuld und Frömmigkeit vor dir wandle. Gib, daß nicht die Eitelkeit mein Herz bethöre, nicht die Vergnügungen der Welt meine Sinne gefangen nehmen, daß ich ihnen nicht die kostbaren Stunden opfere, die der Ausübung meiner Pflichten gewidmet sein sollten, daß ich nicht in thörichtem Leichtsinne gegen das mich verfehle, was Zucht und Sitte erheischen, daß die Würde der Jungfrau, die Unschuld des Herzens meinen höchsten Schmuck, meine vorzüglichste Zierde bilde.

Segne mich, Gott, mit Verstand und Einsicht, mit Gesundheit des Körpers und Geistes, mit einem heitern, zufriedenen Herzen. Gib, daß ich mich nie gegen die Pflichten der Kindesliebe verfehle, daß ich durch nichts meine theuern Eltern verletze und kränke, daß es mir gelinge, ihnen durch Alles, was ich thue, Freude zu bereiten. Lege, o Gott, deinen göttlichen Segen auf ihr theures Haupt, laß sie nie von Krankheit, Kummer und Angst berührt werden, gib Gelingen ihrem Mühen und Streben und einen reichen Gewinn ihrem Gewerbe und Verkehr, gib ihnen, o Gott, ein glückliches Alter, daß sie rüstig und kraftvoll an Geist und Körper sich des Lebens lange freuen. Amen.


Gebet einer Waise.

„Wenn Vater und Mutter mich verlassen,
nimmt Gott mich auf.“
 (Ps. 27, 10.)

Gott, mein Gott! Alle deine Geschöpfe rufen deinen Namen an in inbrünstigem Gebete, und wie erst muß mein Herz zu dir hineilen, meine Seele an dir hangen in Liebe und Inbrunst, die ich einsam und verwaist stehe auf Erden, deren ganze Hoffnung, Trost und Zuversicht nur in dir, mein himmlischer Vater, ruhet. Die Theuern, denen ich mein Leben danke, deren Liebe meine Jugend geschirmt und geleitet hätte zum Guten, die mein Leben hätten bewahrt mit aller Sorgfalt und Zärtlichkeit, meine Tage hätten umgeben mit Frohmuth und Freuden: – du hast sie zu dir heimberufen in deinen lichten Himmel, und ich bin allein und verwaist geblieben auf dieser dunkeln Erde; hier, wo es so viele Klippen

Empfohlene Zitierweise:
Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/84&oldid=- (Version vom 1.8.2018)