Seite:Onkel und Neffe 1 09.jpg

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2.

Das alte Schloß, einst ein festes Raubritternest, dient jetzt friedlichen Zwecken, es ist in eine Brauerei verwandelt; der Wallgraben ist längst trocken gelegt und zur Anlage von Baumschulen und Gemüsebeeten verwendet worden, und die Nachkommen der Wegelagerer von einst haben sich auf der zugänglichsten Seite des Berges, wo auch die Fahrstraße sich im Bogen emporzieht, in Büchsenschußweite von der Burg ihrer Ahnen ein etwas düstres und im Zopfstyl gehaltenes, aber recht behagliches Schlößchen erbaut, während Park- und Gartenanlagen, terrassenförmig aufsteigend, die drei steilen Seiten des Berges bedecken.

In diesem neuen Schloß, das mit der sorglosen Raumverschwendung früherer Jahrhunderte erbaut ist und die eine Seite eines Vierecks bildet, dessen andere drei Seiten von Stallungen, Scheunen, Wirthschaftsgebäuden und der Wohnung des Oekonomie-Pächters gebildet werden, wohnt im Erdgeschoß der Verwalter Walther mit seiner Schwester und seinem kleinen dresdner Neffen; die sämmtlichen übrigen Räume stehen leer, wenn der Besitzer nicht am Sonnabend Abend gekommen ist und die Nacht im Fremdenzimmer zubringt. Für die drei Menschen ist das saalähnliche Parterrezimmer, in dem sie sich meist aufhalten, auch viel zu groß; das Licht der Hängelampe vermag den weiten Raum nur sehr theilweise zu erhellen und in den Ecken webt ein geheimnißvolles Dämmern. Die schweren geschnitzten Möbel, die von Alter und Rauch ein tiefes Dunkel angenommen haben, würden dem Gemach ein düsteres Aussehen verleihen, hätte sich nicht seit vielen Wochen eine geschickte Frauenhand mit Erfolg bemüht, diesen Raum lichter, freundlicher, behaglicher zu machen – es ist recht traulich und gemüthlich in dem Zimmer der alten Leute und ihres kleinen Lieblings und während draußen ein schier undurchdringliches Gewühl und Gewimmel von großen grauen Flocken die Luft erfüllt, legt das prasselnde Feuer im Ofen unstete rothe Lichtstreifen auf die Eichendielen und zu der Hängelampe über dem weißgedeckten Tisch steigt aus der geöffneten Suppenschüssel der helle Dampf empor.

Der alte Jäger will Abends, wenn er aus Frost und Gestöber heimkommt, seine heiße, wärmende Suppe haben, die er schweigend auslöffelt. Der kleine Robert sitzt ihm lesend gegenüber, den Arm auf den Tisch gestemmt; sein Jagdabenteuer mit der schwarzen Katze hat er natürlich längst hastig und freudestrahlend erzählt und der Alte hat mit mühsam unterdrückter Bewunderung und in überwallendem Stolz einmal über das andere gemurmelt: „Wahrhaftig, besser hätte ich sie auch nicht treffen können und wenn's auch keine Distanz war – hast Deine Sache gut gemacht, Junge; und was wahr ist, muß gelten." Er hatte seine Meinung dahin ausgesprochen, daß das Thier sich gewiß schon seit Jahren im Walde herumtreibe und daß sich nach einer solchen Zeit zwischen wilden und verwilderten Katzen bezüglich ihrer Größe, Stärke und Wildheit kaum noch ein Unterschied entdecken lasse. Von dem fremden Herrn war nur sehr beiläufig die Rede; Robert hatte gefunden, er habe Aehnlichkeit mit dem Herrn Advocaten aus H., der einmal zu Besuch da gewesen und die Tante hatte lächelnd hinzugefügt:

„Ja so, das war damals, wo ich Windbeutel gebacken hatte und Du mich um noch einen ,Advocaten‘ batest; als wir Dich fragten, was das heißen sollte, zeigtest Du auf die Schüssel und meintest, der Onkel hätte Dir einmal gesagt, jeder Advocat sei ein Windbeutel", aber weiter hatte sich Niemand für den Fremden interessirt und der Onkel sprach die Vermuthung aus, der Herr möge wohl ein Amtsbruder eines der Pfarrer in den umliegenden Ortschaften gewesen sein, der während der Festtage vikarire.

Der alte Jäger hatte inzwischen abgetafelt

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Onkel und Neffe (Rudolf Lavant) . Druck und Verlag der Genossenschafts-Buchdruckerei., Leipzig 1879, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Onkel_und_Neffe_1_09.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)