Seite:Onkel und Neffe 1 10.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und das war für Robert ein Wink, sein Buch zuzuschlagen und zu ihm auf das altvätrische Sopha zu springen; die großen Aufschlagestiefel standen längst am Ofen und die Hilfeleistung beim Ausziehen derselben und das Herbeibringen der gefütterten Hausschuhe war Roberts Amt bei des Onkels Nachhausekommen. Noch lieber war ihm aber die Sophastunde; der Onkel erzählte ihm entweder Jagdepisoden, die er mit leuchtenden Augen anhörte oder wichtige Begebenheiten aus der Geschichte oder er lehrte ihn Vogelstimmen nachahmen, und es war höchst ergötzlich, wenn sie ein kleines Zankduett zwischen Hühnerhund und Dachshund aufführten, bis die Tante demselben durch energische Proteste ein Ende bereitete.

Am Abend vorher hatte der Alte von den Durchzügen der unbärtigen Knabensoldaten Napoleons und der mit allerlei Beute bepackten Kosakenpulks erzählt, die während der Freiheitskriege das Städtchen H. berührt hatten, und diese Erzählungen mußten wohl einen tiefen Eindruck auf das Gemüth seines jugendlichen Zuhörers gemacht haben, denn der Onkel fragte plötzlich mit seinem gutmüthigsten Lächeln und in bester Laune:

„Nun sag aber einmal, Katzentödter, was hast Du denn heute früh im Park der Marlene und der Babett für einen historischen Vortrag gehalten? Die Babett sagte mir vorhin, Du müßtest doch einmal ein wahrer Ausbund von Gescheitheit werden, denn schon jetzt seist Du ganz grausam gelehrt und hättest ihnen Geschichten erzählt von Russen und Preußen und Oestreichern und Schweden und Franzosen und von einem Pollakenherzog, daß ihnen Mund und Nase offen gestanden hätten – und die Worte hättest Du dabei gesetzt, besser und zierlicher wie der Herr Schullehrer."

Robert wurde ein wenig roth, sagte aber lebhaft und eifrig:

„Ja sieh, Onkel, das war Dir so. Ich sah ihnen zu, wie sie die ausgesägten Zacken von den Obstbäumen zerhackten und bündelten, und da meinte die Marlene, ich könnte ihnen wohl etwas erzählen. Da hab ich sie gefragt, ob sie denn etwas von der großen Leipziger Schlacht wüßten, und denke Dir, die großen Frauenzimmer hatten in ihrem Leben noch nichts davon gehört, und als ich ihnen erzählte, wie sie die Brücke zu früh in die Luft gesprengt haben und so viele ertrunken sind, selbst der Marschall Poniatowski, da faltete die Babett die Hände und fing an zu flennen und meinte: „Ach, Du lieber Gott, die armen Leute – und gewiß lauter hübsche junge Menschen! Es ist eine Sünd' und Schande, wie sies im Kriege treiben, und wenn nur die Türken nicht einmal zu uns kommen, denn die verschonen Frauen und Kinder nicht!" Da hab ich sie aber gehörig ausgelacht und ihr gesagt: „Aber Du weißt doch auch von der Gotteswelt nichts, Babett! Die Türken – das wären mir die Rechten! Die denken nicht dran, zu uns zu kommen, die sind heilfroh, wenn man sie in Frieden aus ihren langen Pfeifen rauchen läßt."

„Na, da hat die Babett einmal etwas Neues gehört, zum Lohn dafür, daß sie Dir im Sommer Frösche für die Krebse fangen half, die uns der Freiherr über den Hals schickte, und die bei dem großen Festessen verspeist werden sollten. Weißt Du noch, wir hatten sie in den einen steinernen Röhrtrog gethan. Du konntest aber doch nicht genug Frösche schaffen, und als wir die Kerle herausnahmen, fehlten eine ganze Menge – die großen hatten sich über die kleinen hergemacht und sie aufgefressen."

„Ach ja, das war damals, wie die Schnecken in der Nacht die blechernen Stürzen von den eisernen Töpfen abhoben, und als die Kochfrau früh in die Küche kam, krochen die Schnecken am Boden, an den Wänden und an der Decke herum!"

Die Sache mußte wohl sehr komisch ausgesehen haben, denn Robert klatschte in die Hände und brach in ein übermüthiges Gelächter aus: „Wer wird aber auch Schnecken essen! Da lob ich mir doch ein Stückchen Hecht."

„Ach so", mischte sich die Tante ein, „da kommt auch die Rache mit ins Spiel, denn das vergißt Du den Hechten Dein Lebtag nicht, daß Dich der große, der sich an der Nachtschnur gefangen hatte, bei einem Haar in den Teich gezerrt hätte, als Du ihn herausziehen wolltest; wäre die Weide nicht gewesen, an die Du Dich klammertest,

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Onkel und Neffe (Rudolf Lavant) . Druck und Verlag der Genossenschafts-Buchdruckerei., Leipzig 1879, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Onkel_und_Neffe_1_10.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)