Seite:Onkel und Neffe 1 11.jpg

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er wäre Herr über Dich geworden und ohne den Onkel hättest Du ihn überhaupt nicht aufs Land gebracht – es war freilich auch ein Mordskerl."

„Nun ja, er hat derb gerissen und die Schnur schnitt mir schlimm in die Finger, aber losgelassen hätte ich ihn doch nicht, da hätt' es werden können, wie es wollte; der Hans freilich, der hätte gedacht, er hätte ein Krokodill an der Leine – ich habe es ihm nämlich in meiner kleinen Naturgeschichte gezeigt und ihm vorgeredet, die gäbe es auch bei uns, sie säßen nur ganz tief unten."

„Ja so, wie ist denn das", mischte sich der Onkel wieder ein, „was willst Du denn dem Hans bescheeren?"

„Ich weiß schon, was ihm Freude macht – das alte Bilderbuch, das ich noch aus Dresden mitgebracht habe und in dem ich jede Zeile auswendig weiß, und eine Schachtel Bleisoldaten – die Schotten, die gar keine Hosen anhaben – und meinen kleinen Papierdrachen. Weißt Du noch, Onkel, wie das ganze Dorf zusammenlief, als ich den aus Dresden bekommen hatte und zum ersten Male auf dem Anger steigen ließ? Und er hatte nicht einmal eine richtige Wage und schoß einmal links und einmal rechts kopfüber herunter. Da ist der große, den wir dann gebaut haben, doch ein andres Stück Arbeit! –"

„Und wer bekommt denn sonst noch etwas?"

„Das liegt alles schon parat; ich habe doch nach und nach, wenn wir in der Stadt waren, von den alten Basen so viel Zuckerzeug bekommen, Lebkuchen und Pfeffernüßchen und was es nur gibt, und wenn man so groß ist, wie ich, schickt sichs doch nicht mehr, solche Näschereien zu essen – das wird alles vertheilt und Pachters Mariechen bekommt das Meiste, weil sie krank war. Sie soll ihren Theil auch nicht in einer Düte bekommen, sondern in der runden Pappschachtel, mit dem hübschen Bild auf dem Deckel, in der mir meine kleine Schwester Amely, das gute Ding, die ersten Strümpfe geschickt hat, die sie mit ihren winzigen Fingerchen gestrickt hat. Das muß doch recht niedlich aussehen, wenn sie mit den großen Nadeln hantiert. Nun, meinetwegen, ich lern's nicht – nicht wahr, Onkel, von den Männern stricken nur die alten Schäfer, damit sie nicht so arge Langeweile haben?"

„Hast Du denn auch an den alten blinden Drechsler Polenz gedacht, der Dir so viele Bolzen zu Deiner Armbrust – weißt Du, zu der aus einer Dachschindel geschnitzten? – drehte und gar nicht ärgerlich wurde, wenn Du auch an einem Tage ein halbes Dutzend verschossen hattest?"

„Aber, Onkel – wie werd' ich denn den alten Polenz vergessen! Der bekommt sogar, in rosa Seidenpapier eingewickelt, einen funkelnagelneuen Gulden, den ich mir beim Briefträger eingewechselt habe, und eine Flasche Rum; es wäre doch recht schlecht von mir, wenn ich an ihn nicht denken wollte."

„Von Einem hast Du mir aber doch noch nichts gesagt – vom rothen Christian in der Schenke, und ihr habt euch doch so viel mit einander abgegeben."

Es lag ein eigenthümlicher Ton in der Frage, die jedenfalls einen tieferen Sinn hatte, und Robert erröthete denn auch bis in die Schläfe und sagte endlich trotzig:

„Nein, Onkel, der bekommt nichts – wir sind nicht mehr gut mit einander."

Der Onkel stellte sich sehr verwundert und fragte:

„Ja, was habt ihr beiden rabbiaten Kerle denn mit einander gehabt?"

„Ach weißt Du, Onkel, er ist schlecht – denke Dir, dem Officier meiner einhauenden französischen Kürassiere hat er den Kopf abgebrochen, und ich hatte die Schachtel erst den Tag vorher auf dem Jahrmarkt mir gekauft."

„Nun, das wird unabsichtlich geschehen sein, aus Versehen, meinetwegen aus Ungeschick."

„Nein, nein," betheuerte Robert eifrig, „er hat ihm den Kopf absichtlich mit der kleinen Zange abgezwickt; er ist boshaft und neidisch und hat mir die Soldaten nicht gegönnt – und das ist ja auch kein Wunder, denn Du hast mir doch selber gesagt: ,Ellernholz und rothe Haare wachsen auf keinem guten Boden.‘"

„So, habe ich das gesagt? Das ist aber doch mein Ernst nicht gewesen und ich habe es sicherlich nur scherzhaft gemeint."

„Das weiß ich freilich nicht, aber sieh, Onkel, er ist auch dumm, so dumm

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Onkel und Neffe (Rudolf Lavant) . Druck und Verlag der Genossenschafts-Buchdruckerei., Leipzig 1879, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Onkel_und_Neffe_1_11.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)