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müßten. Seien wir jedoch nicht zu besorgt! Wir sind sicher, daß die Kranke nicht sterben wird, und wir können sogar hoffen, daß diese Krisis heilsam sein wird, denn die Geschichte der Vergangenheit scheint es uns zu verbürgen. Es ist ja auch nicht die erste Krisis, und um sie zu verstehen, ist es wichtig, sich der vorangegangenen zu erinnern. Es sei mir also eine kurze historische Zusammenstellung erlaubt.

Die Physik der Zentralkräfte.

Die mathematische Physik ist, wie wir wissen, eine Tochter der Himmelsmechanik, die am Ende des 18. Jahrhunderts in dem Augenblick geboren wurde, wo diese ihre höchste Vollendung erreicht hatte. In den ersten Jahren besonders glich das Kind seiner Mutter in erstaunlicher Weise.

Die Sternenwelt ist aus Massen gebildet, die zwar sehr groß, aber durch so ungeheure Entfernungen getrennt sind, daß sie uns wie materielle Punkte erscheinen; diese Punkte ziehen sich im umgekehrten Verhältnis des Quadrates der Entfernungen an, und diese Anziehung ist die einzige Kraft, die ihre Bewegungen beeinflußt. Wären aber unsere Sinne scharf genug, uns alle Einzelheiten der Körper zu zeigen, die die Physiker studieren, so würde sich das Schauspiel, das wir hier entdecken, kaum von dem unterscheiden, das die Astronomen beobachten. Auch hier würden wir materielle Punkte sehen, die im Verhältnis zu ihren Dimensionen durch ungeheure Entfernungen voneinander getrennt sind und nach regelmäßigen Gesetzen ihre Bahnen beschreiben. Diese unendlich kleinen Sterne sind die Atome. Wie die eigentlichen Sterne ziehen sie sich an und stoßen sich ab, und diese Anziehung und Abstoßung, die in der Richtung ihrer Verbindungslinie wirkt, hängt nur von der Entfernung ab. Das Gesetz, nach dem diese Kräfte als Funktionen der Entfernung variieren, ist vielleicht nicht das Newtonsche Gesetz, aber es ist ein ähnliches;

Empfohlene Zitierweise:
Henri Poincaré: Der gegenwärtige Zustand und die Zukunft der mathematischen Physik. Der Wert der Wissenschaft, B. G. Teubner, Leipzig 1904/6, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PoincareKrise.djvu/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)