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wie ein Botaniker seine getrockneten Blumen in sein Herbarium einreiht.

Aber diese Überschriften können nur in begrenzter Zahl vorhanden sein. Demnach müßte der psychologische Zeitbegriff die Vorstellung von Lücken in sich schließen. Woher kommt das Gefühl, daß zwischen zwei beliebigen Zeitpunkten andere Zeitpunkte liegen? Wir ordnen unsere Erinnerungen in die Zeit ein, aber wir wissen, daß leere Felder bleiben. Wie ginge das zu, wenn die Zeit nicht ein schon früher in unserem Geist existierender Begriff wäre? Wie könnten wir wissen, daß es leere Felder gibt, wenn sich uns diese Felder nur durch ihren Inhalt offenbarten?

II.

Das ist aber nicht alles; in diese Form wollen wir nicht nur die Empfindungen unserer Seele einkleiden, sondern auch die, welche sich in den Seelen anderer abspielen. Und mehr noch; wir wollen auch die äußeren Tatsachen hineinreihen, dieses Etwas, womit wir den Raum beleben, und was keine Seele unmittelbar empfindet. Wir müssen wohl, denn sonst könnte die Wissenschaft nicht bestehen. Mit einem Wort, der psychologische Zeitbegriff ist uns gegeben, und wir wollen den wissenschaftlichen und physikalischen Zeitbegriff schaffen. Hiermit beginnt die Schwierigkeit oder vielmehr es beginnen die Schwierigkeiten; denn es sind deren zwei.

Hier haben wir zwei Tatsachen des Bewußtseins, die sozusagen zwei füreinander undurchdringliche Welten sind. Auf welche Weise können wir sie in eine Form bringen oder sie mit dem gleichen Maßstabe messen? Ist es nicht, als wollte man mit einem Gramm messen oder mit einem Meter wägen?

Und warum sprechen wir überhaupt vom Messen? Wir wissen wohl, daß die eine Sache früher geschah als die andere, aber nicht wieviel früher.

Empfohlene Zitierweise:
Henri Poincaré: Das Maß der Zeit. Der Wert der Wissenschaft, B. G. Teubner, Leipzig 1898/1906, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PoincareMass.djvu/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)