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Tatsächlich müssen die besten Uhren von Zeit zu Zeit gerichtet werden, und dies geschieht mit Hilfe astronomischer Beobachtungen. Man richtet sie so, daß die Sternenuhr die gleiche Stunde zeigt, wenn der gleiche Stern den Meridian passiert. Mit anderen Worten, der siderische Tag, das heißt die Dauer der Rotation der Erde, ist die dauernde Einheit der Zeit. Man setzt an Stelle der aus dem Pendelschlag genommenen Definition eine neue. Man nimmt an, daß zwei vollständige Umdrehungen der Erde um ihre Achse die gleiche Dauer haben.

Aber auch mit dieser Definition sind die Astronomen noch nicht zufrieden. Viele von ihnen glauben, daß die Gezeiten des Meeres gleich einer Bremse auf unsere Erdkugel wirken, und daß die Rotation der Erde immer langsamer und langsamer wird. So erkläre sich auch die scheinbare Beschleunigung der Bewegung des Mondes, der schneller zu gehen scheint als die Theorie zuläßt, weil unsere Uhr, die Erde, nachgeht.

IV.

Dies alles macht wenig aus, wird man sagen. Natürlich sind unsere Instrumente unvollkommen, aber es genügt, daß wir uns ein vollkommenes Instrument denken können. Dies Ideal ist nicht zu erreichen, aber wir können es uns wenigstens vorstellen und so die Strenge in die Definition der Einheit der Zeit hineinbringen.

Das Unglück ist nur, daß diese Strenge auch hierin nicht vorhanden ist. Welches Postulat setzen wir stillschweigend voraus, wenn wir uns des Pendels zum Messen der Zeit bedienen?

Daß die Dauer zweier identischen Ereignisse gleich sei, oder, wenn man lieber will, daß die gleichen Ursachen gleiche Zeit brauchen, um gleiche Wirkungen hervorzubringen.

Und das ist für den Anfang eine gute Definition der

Empfohlene Zitierweise:
Henri Poincaré: Das Maß der Zeit. Der Wert der Wissenschaft, B. G. Teubner, Leipzig 1898/1906, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PoincareMass.djvu/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)