Seite:PoincareMechanik.djvu/11

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modifizieren, daß sie sich mit dem Prinzip vertragen. Die Ehre, auf diesem Gebiet endlich Erfolg gehabt zu haben, kommt dem holländischen Physiker Lorentz zu, dem Träger eines Nobelpreises. Um Ihnen verständlich zu machen, worin seine Lösung besteht, muß ich Ihnen zunächst einen neuen Begriff erläutern, nämlich den der „Ortszeit“.

Wir wollen uns zwei Beobachter denken, den einen in Paris, den anderen in Berlin. Beide haben die Absicht, ihre Uhren zu vergleichen. Ich will annehmen, daß ihre Uhren ganz ausgezeichnete Werke seien, die eine ganz ungewöhnliche Präzision gewährleisten, etwa eine solche von einer Millionstel Sekunde. Wie werden sie die Sache nun anfangen? Nun sie werden sich gegenseitig Signale senden, etwa vermittelst drahtloser Telegraphie. Sie wissen ja, daß die Hertzschen Wellen, welche man in der Telegraphie ohne Draht verwendet, nichts anderes sind als Licht, nämlich ein Licht, das unser Auge nicht wahrnimmt, weil es nur gewisse Farben sehen kann. Immerhin stellen die Hertzschen Wellen doch eine Art Licht dar und pflanzen sich auch genau mit derselben Geschwindigkeit fort wie das sichtbare Licht. Zu einer verabredeten Zeit sendet nun der Pariser ein Signal, nach dem der Berliner seine Uhr einstellt. Wenn man sich aber hiermit begnügen würde, so würde die Uhr des Berliners sicherlich nachgehen, weil das Licht eine gewisse Zeit gebraucht, um von Paris nach Berlin zu gelangen. Um diesen Mißstand zu beseitigen, wird man die Signale in umgekehrter Richtung austauschen. Der Berliner wird jetzt die Signale geben, und der Pariser wird Empfänger sein. Bei dieser zweiten Vergleichung wird nun die Uhr des Berliners einen Vorsprung gegenüber derjenigen des Parisers erhalten. Schließlich wird man das Mittel der beiden Uhrvergleichungen nehmen. In dieser Weise wird man in der Tat zweckmäßig vorgehen. Aber ist nun die Übereinstimmung beider Uhren vollkommen hergestellt? Wir haben dabei die Annahme zugrunde gelegt, daß das Licht (die elektrischen Wellen) dieselbe Zeit gebraucht, ob es nun von Paris nach Berlin oder von Berlin nach Paris wandert. Diese Annahme wäre vollkommen richtig, wenn sich beide Städte im Ruhezustande befänden. Aber sie werden ja mitgenommen durch die Bewegung der Erde auf ihrer Weltenbahn, durch die Bewegung des Sonnensystems im Bereiche der Milchstraße, welche dieses ganze System nach der Konstellation des Herkules hintreibt, und vielleicht noch durch andere Bewegungen, die wir nicht kennen und die uns ewig unbekannt bleiben werden! Vielleicht ist es Paris, das den von Berlin aus gesandten Signalen auf dieser Wanderung der Erde vorauseilt, vielleicht eilt Berlin den von Paris geschickten voraus. In dem einen Fall wird das von Berlin gesandte Licht schneller in Paris anlangen, als das von Paris ausgesandte in Berlin eintreffen würde. Im anderen Fall verhält sich die Sache gerade umgekehrt. Im ersten Fall wird die in der angegebenen Weise regulierte Berliner Uhr nachgehen, im zweiten dagegen voreilen. Welcher von den beiden Fällen nun in Wirklichkeit zutrifft, können wir nicht wissen; ja wir werden niemals davon etwas ergründen können, weil wir die absolute Bewegung der Erde im Raume nicht kennen und auch niemals imstande sein werden, darüber etwas in Erfahrung zu bringen.

Empfohlene Zitierweise:
Henri Poincaré: Die neue Mechanik. B.G. Teubner, Leipzig 1911, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PoincareMechanik.djvu/11&oldid=- (Version vom 1.8.2018)