Seite:PoincareMechanik.djvu/6

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sein. Diese Geschwindigkeit ist enorm groß, viel größer als diejenige, welche wir gewohnheitsgemäß kennen, wie etwa die unserer Lokomotiven und Automobile. Wäre also das Prinzip der Relativität nicht richtig, so würde diese Translationsgeschwindigkeit von beträchtlichem Einfluß sein, indem dann alle 12 Stunden die Gesetze der Mechanik sich vollkommen umkehren müßten. Der Mensch, welcher schon so viel Schwierigkeit bei dem Nachweis der Bewegung der Erde hatte, würde absolut nichts begriffen haben von solchen Umwälzungen, er müßte sie einfach der Laune der Götter zuschreiben. Er würde wahrscheinlich zu der Schlußfolgerung kommen, daß sich in ihnen kein Gesetz offenbart, er würde darauf verzichtet haben, die Wissenschaft zu gründen. Vielleicht würde bei diesen Verhältnissen selbst das Leben ein Ding der Unmöglichkeit gewesen sein, indem nämlich die Organismen, die sich den Verhältnissen des Tages angepaßt haben, nicht fähig sein würden, bei Nacht in einer Umgebung zu leben, die von der des Tages ganz verschieden ist. Glücklicherweise ist nun aber das Prinzip stichhaltig, und die Erfahrung bestätigt es. Ich muß hierbei jedoch einem Einwand begegnen. Hier liegt ja ein Prinzip vor, das uns klar und deutlich darüber belehrt, daß es unmöglich ist, in Erfahrung zu bringen, ob die Welt einer allgemeinen Translation unterliegt oder nicht. Um dies zu verifizieren, müßte man auf einer Welt, die sich in Ruhe befindet, experimentieren, und dann auf einer Welt in Bewegung; schließlich müßte man zeigen, daß in beiden Fällen die Gesetze der Physik die gleichen bleiben. Aber, wird man wieder einwenden, soll dieser Nachweis geführt werden, so müßte man ja wissen, ob im ersten Fall die Welt in Ruhe ist, im zweiten in Bewegung, und es ist ja ganz bestimmt gesagt worden, daß es ein Ding der Unmöglichkeit ist, hierüber etwas in Erfahrung zu bringen.

Dieser Widerspruch ist nur ein scheinbarer. Es gibt zwei Wege, um das Prinzip auf seine Richtigkeit hin zu prüfen. Zunächst existieren in einer Welt, die sich im Zustand der Ruhe befindet, keine bevorzugten Richtungen, weil sich ja diese Welt weder nach der einen oder nach der anderen Richtung bewegt. Alle Richtungen haben in diesem Fall gleiche Geltung; ein Gesetz, das sich für einen Körper bewahrheitet, der sich von N. nach S. bewegt, bewahrheitet sich auch für einen Körper, dessen Bewegungsrichtung von O. nach W. ist. Dies drücken die Gelehrten mit den Worten aus: eine solche Welt verhält sich isotrop. In einer bewegten Welt wird dies nicht mehr der Fall sein, insoweit es mit dem Prinzip nicht seine Richtigkeit hat. Die Richtung der Gesamtbewegung der Welt würde in diesem Fall unter allen anderen Richtungen bevorzugt sein, und die Gesetze der Bewegung würden nicht mehr die gleichen sein für Körper, die sich in der nämlichen Richtung bewegen, wie die Welt, zu der sie gehören, und für diejenigen, welche einen entgegengesetzten Bewegungssinn haben. Eine solche Welt würde also nicht mehr isotrop sein. Eine bewegte Welt muß aber im Gegensatz hierzu isotrop sein, wenn das Prinzip der Relativität sich bewahrheitet, da sie sich ja in nichts von einer in Ruhe befindlichen Welt unterscheiden soll. Nun können wir aber beweisen, daß die Welt, in der wir leben, isotrop ist. Also entweder ist das Prinzip richtig, oder unsere Welt befindet sich in Ruhe. Aber es wäre

Empfohlene Zitierweise:
Henri Poincaré: Die neue Mechanik. B.G. Teubner, Leipzig 1911, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PoincareMechanik.djvu/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)