Seite:PoincareMechanik.djvu/9

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

zuerst anlangen würden. Lumen würde also in allen diesen Fällen über ein Mittel verfügen, durch das er erfahren könnte, ob er es ist, der sich von der Lichtquelle entfernt oder sich ihr nähert, oder ob umgekehrt die Lichtquelle es ist, welche sich ihm nähert oder sich von ihm entfernt. Ich gebe gerne zu, daß das Experiment in der Weise, wie es sich Flammarion gedacht hat, mit den gegenwärtigen Hilfsmitteln unserer Laboratorien sich nicht so leicht wird realisieren lassen. Solch phantastische Geschwindigkeiten stehen uns nicht zur Verfügung, und, wenn sie uns zur Verfügung ständen, so würden die Beobachter doch nicht viel unterscheiden können. Ich habe aber absichtlich ein solch extremes Beispiel gewählt, dessen Ergebnis ein Extrem sein würde, weil es sich dabei um nichts Geringeres handelt als um eine Umkehrung der Zeitfolge. Würden wir bescheidenere Mittel gebrauchen, so würden auch die Resultate entsprechend bescheidener ausfallen, aber sie würden, den älteren Theorien zufolge, sich mit unseren Instrumenten immerhin noch nachweisen lassen. Das extreme, von mir vorhin gewählte Beispiel dürfte aber wohl genügen, um Ihnen die Sache verständlich zu machen.

Nun bietet sich eine Frage dar: läßt sich das Prinzip der Relativität auf die optischen Phänomene anwenden? sind diese Phänomene außerstande, die Translation der Erde uns zum Bewußtsein zu bringen? Wenn wir diese Frage mit „Nein“ beantworten müßten, dann würden sich die Metaphysiker darüber gewiß nicht aufregen; sie würden uns sagen: Ihr glaubt die absolute Bewegung der Erde gemessen zu haben, aber Ihr täuscht Euch; Ihr habt ja nur die relative Bewegung der Erde in bezug auf den Äther sicher gestellt, Ihr wißt ja gar nicht, ob der Äther selbst in Ruhe ist; das Prinzip ist also gerettet. Indessen die Physiker, welche eine Art Instinkt oder Empfindung für die Relativität haben, würden darin keine Beruhigung finden. Auf jeden Fall kann hier nur die Erfahrung allein den Ausschlag geben.

Das erste Phänomen, daß hier Erwähnung finden muß, ist die Aberration des Lichtes. Es ist bekannt, daß die Richtung des Fernrohrs, wenn man es auf einen Stern einstellt, nicht genau der geraden Richtung entspricht, welche vom Auge zum Stern läuft, weil das Fernrohr die Translationsbewegung der Erde mitmachen muß und daher verschoben wird. Es ist genau so, wie man, um auf einen laufenden Hasen zu schießen, vor das Ziel visieren muß. Das Licht liefert uns also einen Beweis für die Translation der Erde. Hierbei muß man freilich beachten, daß es für diese Zwecke eines Sternes bedarf, also einer außerhalb der Erde befindlichen Lichtquelle, und daß man nur die relative Verschiebung der Erde in bezug auf diesen Stern beobachtet. Die Aberration spricht also nicht gegen das Prinzip der Relativität.

Werden nun die optischen Phänomene, die sich auf der Erdoberfläche selbst abspielen, durch die Bewegung unseres Planeten auf seiner Bahn gestört? Das ist eine andere Frage, und man hat viele Wege gesucht, um sie zu beantworten. Man hat da zunächst die Sterne mit einem Fernrohr beobachtet, das man mit Wasser angefüllt hat. Weil das Licht durch Wasser weniger schnell hindurchdringt als durch Luft, vermutete man,

Empfohlene Zitierweise:
Henri Poincaré: Die neue Mechanik. B.G. Teubner, Leipzig 1911, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PoincareMechanik.djvu/9&oldid=- (Version vom 1.8.2018)