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Marie Petersen: Prinzessin Ilse

stieg. Er schaute lange nach der Seite, wo die deutschen Ströme hinab gezogen waren. Er sah sie in der Ferne dahin gleiten, die großen Hauptströme weit voraus, die kleineren ihnen nachziehend und ein ganzes Trabantenheer kleiner Flüßchen und Bäche lustig hinterdrein eilend. Er freute sich, wie gut sie geleitet wurden, wie alle Verwirrung gelöst sei, und wie kein Quellchen so winzig und unbedeutend war, daß nicht ein Engel nebenher gegangen wäre, ihm immer wieder den rechten Pfad zu zeigen, wenn es zaudernd und unschlüssig zur Seite lenkte, und es sorglich zu hüten, wenn es gar zu täppisch und unbedacht über die Felsklippen hinabstürzte. Er sah den lustigen Rhein, einen vollen Rebenkranz auf dem Haupt, rastlos dahin eilen, und meinte, aus weiter Ferne den Jubellaut zu hören, mit dem er seine geliebte Mosel begrüßte, als sie, auch ihre Locken mit Reben durchflochten, erröthend an ihn herantrat.

Weiter und weiter zogen die Wasser dahin; – ihr Rauschen und Klingen verhallte in der Ferne, und der einsame Engel auf der Alpenspitze fand plötzlich sein Ohr von anderen Lauten berührt. Es war ein leises, tiefschmerzliches Weinen und Plätschern in nächster Nähe; – und wie er aufstand und hinter die Klippe trat, von welcher der Ton herkam, da fand er in weiße Schleier gewickelt ein junges Quellchen bitterlich weinend am Boden liegen. Mitleidig beugte er sich zu ihm nieder, – und wie er es aufrichtete und seine Schleier aus einander schlug, da erkannte er, daß es die kleine Ilse war, der ein grünes Bett fernab in den Thälern des Harzes bereit stand. „Armes Kind“, sagte der gute Engel, „hast Du allein hier oben auf den rauhen Bergen bleiben müssen? Sind die Anderen alle davon gegangen, und Keiner hat daran gedacht, dich mitzunehmen?“ Die kleine Ilse warf

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Marie Petersen: Prinzessin Ilse. Alexander Duncker, Berlin 1857, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Prinzessin_Ilse_(Marie_Petersen).pdf/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)