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Marie Petersen: Prinzessin Ilse

„Bei Leibe nicht!“ rief die kleine Ilse, „Ich bleibe hier oben, ich bin die Prinzessin!“

„Ilse“, sagte der Engel mit seiner milden, weichen Stimme, „liebe, kleine Ilse, ich bin dir gut, und du wirst mich auch ein bischen lieb haben und ein artig Kind sein. Siehst du dort die weiße Morgenwolke im blauen Himmelsraume schiffen? Die werde ich anrufen, daß sie hier anlegt, und dann steigen wir beide hinein – du legst dich auf ihre weichen Kissen, und ich setze mich neben dich –, und so wird die Wolke uns schnell hinab führen in die stillen Thäler, wo die anderen Bäche gehen. Da werde ich dich in dein grünes Bettchen legen und bei dir bleiben, und dir bunte Träume schenken und Märchen erzählen.“

Prinzessin Ilse war aber unverbesserlich störrisch; sie rief immer trotziger und heftiger: „Nein, nein, ich will nicht hinab, ich mag nicht hinab“, und als der Engel ihr näher kam und sie mit sanfter Gewalt in seine Arme nehmen wollte, da schlug sie nach ihm und spritzte ihm Wasser in’s Gesicht.

Der Engel setzte sich traurig an den Boden und Prinzessin Trotzköpfchen kroch wieder in ihre Felsspalte und freute sich, daß sie so viel Charakter zeigte und dem Engel der noch mehrmals zu ihr trat und sie zum Mitgehen zu bereden suchte, kurze abschlägige Antworten gab.

Als der gute Engel aber endlich einsah, daß er mit all seiner Liebe jede Macht über die kleine Ilse verloren, daß das Hochmuthsteufelchen all ihre Sinne gefangen hielt, da wendete er sich seufzend von dem verlornen Kinde und suchte seine Gefährten auf, die sich drunten noch geschäftig tummelten. –

Prinzessin Ilse aber, als sie wieder allein war auf dem Alpengipfel, wollte nun ihrer Hoheit recht froh werden. Sie kam hervor aus der Felsenritze, setzte sich auf

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Marie Petersen: Prinzessin Ilse. Alexander Duncker, Berlin 1857, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Prinzessin_Ilse_(Marie_Petersen).pdf/17&oldid=- (Version vom 1.8.2018)