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Marie Petersen: Prinzessin Ilse

wenn sie ihr sonst keinen Schabernack anthun konnte. In den Kleidern von prächtigen, rothen Fingerhutblumen standen die Hexen in koketten Gruppen auf den freien Abhängen des Gebirgs im hellen Sonnenschein, und winkten den Farrenkräutern und riefen die frommen Blauglöckchen an, um ihnen auseinander zu setzen, daß Blauglöckchen und Fingerhutblumen nahe Verwandte seien. Die Blauglöckchen sahen aber den tödlichen Gifttropfen im Grunde der glänzenden Blumenkelche, und schüttelten leise die Köpfchen, gingen zur Ilse hinab, und baten die Farrenkräuter, sich vor zu stellen und ihre Fächer auszubreiten, daß sie das tückische Gesindel gar nicht mehr zu sehen brauchten. Prinzessin Ilse blickte scheu hinauf und murmelte stille Gebete, indem sie vorüberzog. Die getreuen Blauglöckchen und Farrenkräuter wurden von ihr gelobt und gestreichelt, und wenn sie fand, daß die nassen Steine an ihrem Wege mit gar zu glänzenden Gesichtern nach den Hexenblumen hinauf schauten, so warf sie ihnen unversehens ihren Silberschleier über und blendete sie mit blanken Lichtstrahlen, die sie auffing und ihnen neckend in’s Gesicht sprützte.

Mit der Chaussee aber wollte Prinzessin Ilse, wenn sie ihr den Weg durch’s Thal auch nicht wehren konnte, doch so wenig als möglich zu thun haben. Auf Nebenwegen, durch den tiefsten Waldesschatten, suchte sie ihr, in Schlangenwindungen, aus den Augen zu kommen; und wenn sie dann in toller Hast über die Klippen dahin sprang und der staubigen Begleiterin ganz und gar zu entfliehen glaubte, so lief sie ihr plötzlich gerade entgegen, und die Chaussee warf eine Brücke über sie hin, und Prinzessin Ilse mußte gebückt unter dem Joch dahin gleiten und ihren Groll in sich verschließen, um nur bald wieder in’s Freie zu kommen.

Lange hält der Zorn der kleinen Ilse aber nicht vor; tiefer im Thal zieht sie

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Marie Petersen: Prinzessin Ilse. Alexander Duncker, Berlin 1857, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Prinzessin_Ilse_(Marie_Petersen).pdf/47&oldid=- (Version vom 1.8.2018)