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ein felsig Land vor uns liegen, doch Niemand antwortete unserm Rufen. Unser Schiff hatte Schutz in einer Bucht gefunden. Da hieß ich Einen das Felsenriff erklettern, um von dort aus in’s weite Land zu schauen, ob etwa eine Stadt zu erblicken sei, wohin wir unser Schiff lenken könnten.

Da schaute der Späher vom hohen Felsenriff herab auf ein reiches wohlbebautes Land. Mit hohen Zinnen lag eine Stadt am Meer, wohl befestigt mit tiefen schiffbaren Gräben. Reiche Frachten standen an den Pforten, und noch immer sah man des Handelsgutes viel vom Meer herein bringen. O wie viel Zoll mußte dies dem Burgvogt verschaffen! Es war das Land Marocco, wohin wir geraten waren, und Castelgunt hieß die Stadt am Meeresufer. Wir fuhren ungesäumt dem Hafen zu und landeten bei der Stadt und fanden sie groß und prächtig. Die Bürger waren Heiden, doch begrüßten sie mich freundlich, als der Burgvogt gefahren kam, um die Waren zu besichtigen. Sein Äußeres flößte mir Vertrauen ein, und so machte ich mir rasch durch’s Gedränge Bahn zu ihm. „Warum bist Du gekommen?“ redete mich der Burgvogt an; „kamst Du des Marktes wegen? Selten wagen sich Christenleute her zu mir, doch freut mich’s, daß Du hier bist.“ Ich hatte eigentlich nur die Absicht gehabt, mein Schiff zu bessern und frisches Wasser einzunehmen, doch antwortete ich rasch: „Um zu gewinnen, muß man auch Gefahr nicht scheuen, doch wird’s Euch nicht leid werden, laßt Ihr mich ungehindert weiter fahren.“ „O sei nur gutes Mutes,“ entgegnete er, „es soll Dir keiner hier ein Haar krümmen. Auch magst Du hier Handel treiben, ohne mir Zoll zu geben. Mir liegt daran, den Handel an diesem Port zu mehren, und auch Christenleute sind mir willkommen dazu. Der Kaiser hat mich hierhergesetzt, die Fremden zu schützen samt ihrem Gut. Sucht Euch die beste Herberge hier aus. Ihr sollt mein Gast sein die ganze Marktzeit hindurch, weil Ihr der erste Christ seid, der hier zum Handel her kam.“

Alsbald führten mich seine Schergen der besten Herberge zu. Ich fragte, wie der Mann heiße, der mir so gnädiglich hier begegnete. „Stranmur heißt er,“ riefen sie; „er ist Landgraf dieses Landes und Burgvogt dieser Stadt. Das Recht über den Strand hat er vom Kaiser als Lehn empfangen.“ Nun dankte ich Gott, der mir im Heidenlande so gute

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Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/233&oldid=- (Version vom 1.8.2018)