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die Leiche mit dem Lichte. Da ließ die Jammerreiche Siegfrieds Mannen wecken. Ihrer Hundert eilten bald zu der Stelle, wo Kriemhilde schrie. Ihr Anführer war Siegfrieds Vater, König Sigmund, der mit Siegfried und Krimhilde aus Nibelungenland gekommen war und die Reise bitter beklagte. Den Tod seines Sohnes wollte er rächen, doch warnte ihn Kriemhilde selbst davor, weil der trotzigen Recken am Rheine zu Viele waren. Da ließ man einen gewaltigen Sarg schmieden von Silber und Gold mit festen Spangen von Stahl. Auch kam Gunther mit Hagen und vielen Rittern, und sprach sein Beileid aus. Aber Kriemhild entgegnete: „Noch oft geschieht ein großes Wunder. Wenn der Mordbefleckte an dem Toten vorüber geht, so bluten die Wunden stärker. Darum gehe Jeder von Euch jetzt vor allen Leuten an Siegfried vorbei, dann werden wir in Kurzem sehen, was an Euren Worten wahr ist.“

Aber als nun Hagen sich dicht bei der Leiche befand, ergoß sich von Neuem ein Blutstrom aus Siegfrieds Wunde. Zwar rief König Gunther: „Hagen war es nicht, Räuber erschlugen ihn!“ Aber Kriemhilde sprach: „Mir sind jene Räuber wohl bekannt, König Gunther und Hagen haben es gethan.“ Da regte sich die Kampflust in Siegfrieds Recken. Doch wurde der Tote, mit köstlichen Gewändern umwunden, im Sarge nach dem Münster getragen. Dort wurde ihm die Totenmesse gelesen, zu welcher sich viele Menschen drängten. Trotz seiner Feinde war er Vielen lieb. Kriemhilde aber ließ durch ihren Kämmerer rotes Gold austeilen an seine Freunde. Diese drängten sich auch zu den hundert Messen, die noch vor Siegfrieds Begräbnisse vor ihm gesungen wurden. Drei Tage und drei Nächte blieb Kriemhilde bei der Leiche. Auch die Pfaffen und die Mönche bat Kriemhilde zu bleiben. Mancher fastete da um Siegfrieds Willen. Doch ließ Herr Sigmund allen Freunden Siegfrieds, so viele ihrer auch waren, Speise und Trank anbieten. Kriemhilde ließ unter die Armen jetzt Kleider und dreißigtausend Mark Silber verteilen und beschenkte die Klöster. Laut schreiend folgten die Leute, als Siegfried aus dem Münster getragen wurde. Gesungen und gelesen wurde, da man ihn begrub, und guter Pfaffen waren genug bei seiner Bestattung. Kriemhilde ließ den Sarg noch einmal öffnen, und dann mußte sie ohnmächtig hinweggetragen werden.

Gern hätte nun König Sigmund seine Schwiegertochter mit nach den

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Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/28&oldid=- (Version vom 1.8.2018)