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Sobald der Abt wußte, daß eine Anzahl der Soldaten sich als Wachen in der Nähe des Schlosses verteilt hatten, ließ er auch diesem Gefangenen sogleich die Fesseln abnehmen. Wittekind selbst wurde von dem Abte eingeladen, den Abend im Wohnzimmer mit der kaiserlichen Familie zu verbringen.

Es war dies dasselbe Gemach, wo Eginhard im Winter dem König Karl die von ihm gesammelten alten Heldenlieder nicht bloß vorgelesen, sondern oft auch vorgesungen hatte. Manche Bauernstube in jetziger Zeit ist prächtiger eingerichtet, als dies Wohnzimmer der Familie König Karls eingerichtet war. An den Wänden standen irdene Satten mit saurer Milch umher. Sie waren bedeckt mit goldgelbem Rahm, aus welchem die Töchter des Kaisers selbst am andern Tage Butter bereiten wollten.

In den Fenstern standen dagegen Blumentöpfe mit Goldlack und mit Rosmarinstengeln, welche letztere noch jetzt ebenso in den Bauernhäusern gezogen werden, weil man sie bei Begräbnissen in die Hand nimmt.

Eine lebhafte Unterhaltung, wie sonst, fand an diesem Abend in der königlichen Familie nicht statt. Doch beschäftigte sich der Abt von Corvei lebhaft mit Wittekind.

Der Abt war zwar wie Karl, sein Vetter, von fränkischem Stamme, doch sprach er mit Wittekind in sächsischer Mundart.

Die aufgetragenen Speisen waren nicht alle nach Wittekind’s Geschmack. Er war noch an Pferdefleisch gewöhnt, welches die alten Sachsen besonders bei ihren Opfermahlzeiten gern verzehrten.

Mit Unwillen vernahm er, daß nun bald im Sachsenlande jedem Bauern befohlen werden würde, alljährlich ein Martinischwein zu mästen und zu schlachten. Kaum, daß er etwas von dem Schinken genoß, der bald darauf eine Lieblingsspeise der Westfalen wurde. Aber er lobte den Wildbraten, den eine der Kaisertöchter bereitet hatte.

Auch von dem Weine zu trinken, der bei Ingelheim und bei Rüdesheim gebaut war, verschmähte Wittekind. An einem Kruge voll Gerstensaft dagegen erquickte er sich.

Als alle Andern schlafen gingen, blieb der Abt mit Eginhard zurück. Er unterrichtete ihn von den Aufträgen, die König Karl ihm gegeben hatte.

Da der Abt von Corvei durch seine Flucht zu König Karl den

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Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/53&oldid=- (Version vom 1.8.2018)