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In jenem Kloster war auch die Verehrung der Gebeine des heiligen Ruprecht üblich gewesen. Diese Überreste des heiligen Ruprechts, die man sonst zu Eilingen gläubig berührt und als hülfreich gepriesen hatte, fand man nun hier wieder. Und so manchen belebte ein freudiges Gefühl, einem längst erprobten Gönner wieder in die Nähe zu treten. Hierbei bemerkte man wohl, daß es sich nicht geziemt hätte, diese Heiligtümer in den Kauf mit einzuschließen oder zu irgend einem Preis anzuschlagen; nein, sie kamen vielmehr durch Schenkung als fromme Zugabe gleichfalls nach St. Rochus.

Bald wurden auch unsere Reisenden vom Gewühl ergriffen; tausend Gestalten stritten sich um ihre Aufmerksamkeit. Diese Völkerschaften waren an Kleidung und Tracht nicht von einander verschieden, aber von der mannigfaltigsten Gesichtsbildung. Das Getümmel jedoch ließ keine Vergleichung aufkommen. Allgemeine Kennzeichen suchte man vergebens in der augenblicklichen Verworrenheit. Man verlor den Faden der Betrachtung, man ließ sich ins Leben hineinziehen.

Eine Reihe von Buden, wie sie ein Kirchweihfest erfordert, stand unfern der Kapelle. Voran geordnet sah man Kerzen, gelbe, weiße, gemalte, dem verschiedenen Vermögen der Weihenden angemessen. Gebetbücher folgten, Officien zu Ehren des Gefeierten. Rosenkränze aller Art fanden sich häufig. Sodann aber war auch für Wecken, Semmeln, Pfeffernüsse und mancherlei Buttergebackenes gesorgt. Durch Galanteriewaaren und Spielsachen sollten Kinder verschiedenen Alters angelockt werden.

Die Prozessionen dauerten fort. Dörfer unterschieden sich von Dörfern. Die Kinder waren schön, die reifere Jugend nicht. Die alten Gesichter erschienen sehr ausgearbeitet; mancher Greis befand sich darunter. Sie zogen mit Angesang und Antwort. Fahnen flatterten, Standarten schwankten, eine gewaltige und mitunter ganz große Kerze erhob sich Zug für Zug. Jede Gemeinde hatte ihre Mutter Gottes, von Kindern und Jungfrauen getragen, neu gekleidet, mit vielen rosenfarbenen, reichlichen, im Winde flatternden Schleifen geziert. Anmutig und einzig war ein Jesuskind, welches ein großes Kreuz hielt und das Marterinstrument freundlich anblickte. „Ach!“ rief ein zartfühlender Zuschauer, „ist nicht jedes Kind, das fröhlich in die Welt hineinsieht, in demselben Falle?“ Sie hatten es

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Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/95&oldid=- (Version vom 1.8.2018)