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Ausdrücken ihr Mißvergnügen zu erkennen. Karl gieng im Saale auf und ab. Die Geheimeräthin kam weinend zurück und erzählte daß ihr Gemahl einpacken lasse und schon Pferde bestellt habe. Die Baronesse gieng zu ihm ihn zu bereden; indessen weinten die Fräulein und küßten sich und waren äusserst betrübt, daß sie sich so schnell und unerwartet von einander trennen sollten. Die Baronesse kam zurück. Sie hatte nichts ausgerichtet. Man fing an nach und nach alles zusammen zu tragen was den Fremden gehörte. Die traurigen Augenblicke des Loslösens und Scheidens wurden sehr lebhaft empfunden. Mit den letzten Kästchen und Schachteln verschwand alle Hoffnung. Die Pferde kamen und die Thränen flossen reichlicher.

Der Wagen fuhr fort und die Baronesse sah ihm nach; die Thränen standen ihr in den Augen. Sie trat vom Fenster zurück und setzte sich an den Stickrahmen. Die ganze Gesellschaft war still, ja verlegen, besonders äusserte Karl seine Unruhe, indem er, in einer Ecke sitzend, ein Buch durchblätterte und manchmal drüber weg nach seiner Tante sah. Endlich stand er auf und nahm seinen Hut, als wenn er weggehen wollte; allein in der Thüre kehrte er um, trat an den Rahmen und sagte mit edler Fassung: ich habe Sie beleidigt, liebe Tante, ich habe Ihnen Verdruß verursacht, verzeihen Sie meiner Uebereilung, ich erkenne meinen Fehler und fühl’ ihn tief.

Ich kann verzeihen, antwortete die Baronesse: ich werde keinen Groll auf dich hegen, weil du ein edler guter Mensch bist; aber du kannst nicht wieder gut machen, was du verdorben hast. Ich entbehre durch deine Schuld

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 1-62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_1-1795.pdf/78&oldid=- (Version vom 1.8.2018)